Abrechnung - (k)ein Buch mit sieben Siegeln

Abrechnung EBM Tipps Praxis Arzt
  • Beruf & Karriere
  • 05.10.2017

Der EBM, das Buch mit 7 Siegeln - verschafft manchem angehenden Arzt in Niederlassung schlaflose Nächte. Wie rechne ich meine Arbeit richtig ab? Wie verhindere ich, dass ich dabei durchdrehe?

'Alles halb so wild', meint Ruben Bernau, junger Hausarzt in Hambergen bei Bremen. Man müsse allerdings bei der Abrechnung manchmal die Medizin vergessen und wie ein Betriebswirt denken. Im Interview gibt er Tipps und berichtet, wie er die Abrechnung in den Griff bekam.

Herr Bernau, Sie arbeiten seit sechs Jahren als Hausarzt in eigener Praxis und haben noch keine Regress-Androhung bekommen. Dabei könnte das jungen Ärzten ja leicht geschehen. Wie haben Sie das gemacht?
Ich habe schon früh, schon als Weiterbildungsassistent die Nase in den EBM gesteckt. Und es war ein großer Vorteil für mich, dass mein Weiterbilder es mir ermöglichte, in seine Abrechnungen zu schauen. So habe ich mit der praktischen Medizin auch die Arbeitsweise mit dem EBM gelernt. Das kam mir dann bei der eigenen Niederlassung zu gute. Dass man dem Chef über die Schulter in die Bücher gucken darf, ist übrigens keineswegs selbstverständlich. Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen in Weiterbildung, die Weiterbilder im Zweifel aktiv um den Blick in die Abrechnungen zu bitten.

Sie machen regelmäßig Abrechnungsseminare für junge Hausärztinnen und Hausärzte. Was sind aus Ihrer Sicht die großen Hürden für die Abrechnungs-Novizen?
Anfänger müssen wissen, dass sie an die Abrechnung nicht als Mediziner heran gehen können, als Arzt der sich nach medizinischen Kriterien richtet. Mit dem Regelwerk des Einheitlichen Bemessungsmaßstabes muss man stattdessen wie ein Betriebswirt oder ein Statistiker umgehen. Das ist für viele junge Kollegen eigentlich die größte Hürde, denn sie wollten ja Ärzte werden und nicht Finanzbeamte.

Welche Probleme tauchen denn da auf?
Da gibt es zahllose Beispiele! Zum Beispiel bei der Krebsfrüherkennung für den Mann (nach §25 Krebsfrüherkennungsrichtlinie - EBM-Ziffer 01732). Diese Ziffer kann ich bei einem 45-jährgen Mann jedes Jahr einmal abrechnen, aber nur, wenn ich die rektale Untersuchung der Prostata vom After aus mache. Dabei weiß ich als Arzt, dass diese Untersuchung eine schlechte Evidenz hat. International und auch von unserer Fachgruppe wird deshalb von der digitalrektalen Untersuchung als Früherkennung abgeraten. Aber wenn ich sie aus medizinischen Gründen nicht mache, kann ich die komplette Krebsfrüherkennung nicht abrechnen. Was nun? Manche Kollegen rechnen die Früherkennung einfach nicht ab. Andere verzichten auf die Untersuchung und rechnen trotzdem ab, was Betrug ist. Wieder andere machen sie nur da, wo sie ihnen aus medizinischen Gründen sinnvoll erscheint und rechnen sie dann ab.

Oder nehmen Sie den Check-Up ab dem 35. Lebensjahr, EBM-Ziffer 01731. Er hat für sich genommen schon keine gute Evidenz. Nun hat jede Ziffer eine Beschreibung, wo fakultative und obligate Bestandteile einer Untersuchung festgelegt sind, so auch der Check-Up. Danach müssen hier Blutzuckerbestimmung und die Cholesterin-Bestimmung vorgenommen werden, um die Ziffer abrechnen zu können. Dabei gibt es dafür überhaupt keine Evidenz! Zugleich müssen junge Leute unter Umständen mit einem erhöhten Cholesterinwert umzugehen lernen.

Eigentlich werden Sie dazu nicht-ärztlichem Verhalten gezwungen.
Manchmal ja, das stimmt. Aber wie sagt mein Kollege und Abrechnungsexperte Timo Schumacher immer: Wenn der EBM verlangt, dass Sie drei Mal ums Feuer tanzen, dann tanzen Sie!

Unter www.hausarzt-werkzeugkasten.de bieten Sie ein breites Seminarprogramm zur Niederlassung an. Ein Modul heißt: Ehrlich gutes Geld verdienen - Abrechnung - was raten Sie jungen Kolleginnen und Kollegen, um nicht am EBM zu verzweifeln?
Ruhig Blut. Legt eure Abrechnungen nebeneinander und diskutiert! Sucht euch Kollegen, denen es ähnlich geht, wie euch selber! Sie müssen ja nicht gerade aus demselben Stadtteil sein. Ich mache das immer noch so. Und immer wieder entdecke ich beim Kollegen Ziffern, die ich noch gar nicht kannte. Netzwerken hilft also.

So wird auch ein häufiger Fehler vermieden: zu viel zu tun für seine Ziffern. Denn oft werden Ziffern erfüllt und nicht abgerechnet. So verliert man Geld! Und nehmt die Hilfe der KVen an. Die sagen dann: "Warum machen Sie nicht ein paar Hausbesuche mehr? Dann liegen Sie genau im Schnitt der Fachgruppe." Andererseits sieht die KV auch, wo vielleicht zu viele Leistungen abgerechnet wurden. Da kann man dann gegensteuern.

Schließlich würde ich im Zweifel die Hilfe von Experten mit spezieller Abrechnungssoftware nutzen. Das sind Dienstleister, die nach ihren Berechnungen z.B. genau sagen können, wie ich mit meinen Zahlen im Vergleich zur Fachgruppe liege. Bei mir hieß es dann: Mach genau 40 Bauchsonographien im Quartal, dann schöpfst du die Quote optimal aus. Ich mache Sonographien natürlich nur aus medizinischen Gründen. Aber der Abrechnungshinweis ist eine statistische Hilfe, die ich brauche. Dann kann ich besser schlafen. Wer glaubt, er habe seine Ziffern im Blick, nach dem Motto, 'irgendwie liegen wir mit den Impfungen ganz gut', der täuscht sich.

Warum kann nicht einfach eine Medizinische Fachangestellte die Abrechnung machen?
Natürlich ginge das. Aber aus meiner Sicht gehört die Abrechnung zur Professionalität des niedergelassenen Arztes hinzu. Als Arzt muss ich eine Darmspiegelung beherrschen und genauso die Abrechnung. Sie gehört zum Selbstständig-Sein, genauso wie Teamführung, Organisation und Kommunikation. Als Unternehmer muss ich einfach wissen wie, wo und womit ich welches Geld verdiene. Im Übrigen ist es natürlich der Arzt, der schließlich unterschreibt und sich gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung dafür verbürgt, dass die Abrechnung korrekt ist. Da sollte er genau wissen, wofür er da geradesteht.

Was darf bei der Abrechnung gar nicht passieren?
Schummeln, sich zu sehr auf andere verlassen und nicht auf dem neuesten Stand bleiben.

Wenn Sie berichten, gewinnt man den Eindruck, die Abrechnung sei für Sie positiver Stress, eine sportliche Herausforderung.
Sagen wir es so: Wer gut zusammenarbeitet, helle ist, im Gespräch und am Ball bleibt, bekommt kaum Abrechnungsprobleme. Und was mich betrifft: Abrechnung macht mir Spaß, nervt mich kreativ, macht mir keine Angst und fordert den ganzen Arzt.
 

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