Verstehen wir uns?
Heute arbeiten in Deutschland mehr als doppelt so viele ausländische Ärzte wie vor zehn Jahren. Auf diese Vielfalt müssen sich Krankenhäuser einstellen. Gutes Teamwork entsteht nicht von allein, wie das Beispiel des LVR-Klinikums Düsseldorf zeigt.
Anruf für die Oberärztin. Von der Station meldet sich ein Assistenzarzt, weil ein Patient auffällig starr dasitzt und kaum ansprechbar ist. Der behandelnde Mediziner lebt noch nicht lange in Deutschland und kämpft mit der Sprache. Seine Chefin, Dr. Tania Langebner, hört aufmerksam zu und stellt viele Fragen, auch auf Englisch, um herauszufinden: Ist die Situation nun kritisch oder nicht? Am Ende beschließt sie, selbst bei dem Patienten vorbeizugehen und sich gemeinsam mit dem Kollegen ein Bild zu machen.
Multikulti auf Station
Tania Langebner leitet ein Ärzteteam in der Allgemeinpsychiatrie am LVR-Klinikum Düsseldorf, einer psychiatrischen Fach- und Universitätsklinik mit über 650 Betten. Beim Gang durch die Klinik begegnet die Oberärztin Kollegen aus Griechenland, Polen, Iran, Rumänien und Syrien. Es sind überwiegend junge Ärzte, die in ihrer Heimat studiert und dort erste Berufserfahrung gesammelt haben. Die meisten zieht es nach Deutschland, weil sie hier bessere Entwicklungs- und Verdienstchancen sehen. Im LVR-Klinikum hat man viel Erfahrung darin, Neulinge aus aller Welt zu integrieren. „Mit ausländischen Kollegen ist die Kommunikation anfangs aufwändiger“, räumt die Oberärztin ein. Damit man sich verstehe, genüge es oft nicht, als Chefin die sprichwörtliche Tür offen zu halten. „Es ist wichtig, auch auf die Kollegen zuzugehen, Präsenz zu zeigen – nicht nur dann, wenn sie mich darum bitten.“
Die Vielfalt am LVR-Klinikum ist nicht nur aus der Not geboren, erklärt Professorin Eva Meisenzahl, die ärztliche Direktorin: „Wir bemühen uns intensiv um ausländische Bewerber. Das tun wir einerseits wegen des Ärztemangels im Land, aber auch, weil unsere Gesellschaft internationaler wird. Wir haben viele Patienten mit Migrationshintergrund. Sie profitieren davon, wenn Ärzte ihre Sprache sprechen und mit kulturellen Besonderheiten vertraut sind.“ Ob zum Beispiel ein südländischer Patient hypomanisch ist, also ungesund euphorisch, oder für seine Verhältnisse völlig normal – das können Landsleute im Zweifel besser beurteilen als deutsche Kollegen.
Lernen von Paten und Pflegekräften
Aikaterini Kotsoni gehört der größten Auslandsfraktion am LVR-Klinikum an: Sie ist eine von zehn griechischen Assistenzärzten. Vor vier Jahren kam sie nach Deutschland. Damals gab es für Bewerber an griechischen Krankenhäusern lange Wartelisten. Zudem kann man sich eine Arztstelle dort nicht aussuchen – man wird zugewiesen. Die junge Medizinerin machte darum schon während ihres Studiums andere Pläne. „Deutsche Kliniken sind bekannt für ihre hohen Standards. Ich wollte die Facharztausbildung unbedingt hier machen“, erklärt sie. „Außerdem gefällt mir, dass ich hier meine Arbeit mit Forschung verbinden kann.“ Neu in Deutschland, vertiefte Kotsoni zunächst ihre Sprachkenntnisse. „Ich habe Deutsch in der Schule gelernt, aber als ich hier ankam, fiel es mir schwer, die Leute zu verstehen“, gesteht sie. Während eines Praktikums an einer Leverkusener Klinik haderte sie auch mit der Bürokratie: „Ich musste alles elektronisch dokumentieren, das kannte ich so nicht. Nach den ersten Tagen dachte ich: ‚Aikaterini, ich glaube, das hier ist doch nichts für dich‘.“
Heute sieht Kotsoni das anders. Bei ihrem jetzigen Arbeitgeber fand sie sich schnell zurecht. Was viel damit zu tun hat, wie sie von ihren Kollegen aufgenommen wurde. Jeder neue Arzt erhält hier einen Einarbeitungspaten. Bei Aikaterini Kotsoni übernahm das einer der griechischen Mitarbeiter. „Ich habe außerdem sehr viel von den Pflegekräften gelernt“, so die junge Ärztin. „Die meisten von ihnen arbeiten schon sehr lange hier. Sie wissen genau, wann wir einen Patienten in einen sicheren Raum bringen müssen oder welche Medikamente jemand gut verträgt.“
Geduld und Zeit sind gefragt
Ärzte, Pflegekräfte, Ergotherapeuten und Sozialarbeiter bilden am LVR-Klinikum ein großes Team. Neben Dienstbesprechungen und Visiten finden auch Supervisionen statt. An diesen Dialogrunden mit einem externen Moderator nehmen Mitarbeiter aller Berufsgruppen teil. Auch Fragen der Arbeitsteilung oder Konflikte im Team kommen zur Sprache. „Diese Zeit bekommen wir natürlich nicht geschenkt, aber wir müssen sie uns nehmen, weil dieser Austausch für die Qualität unserer Arbeit entscheidend ist“, sagt Klinikleiterin Eva Meisenzahl.
Der starke Teamgedanke macht es Einsteigern leichter, sich einzugliedern – egal, ob es nun ausländische oder deutsche Ärzte sind. Nach etwa einem Monat fühlte sich Aikaterini Kotsoni bereit, eigenverantwortlich zu arbeiten. Ausländischen Bewerbern rät sie, ein Krankenhaus auszusuchen, wo das Kollegium bereits international ist und die Alteingesessenen wissen: Sie müssen Rücksicht nehmen. „Am Anfang braucht man viel Geduld“, räumt Tania Langebner ein. „Man muss mehr Zeit investieren als bei Muttersprachlern, zum Beispiel, um Dokumentationen zu korrigieren.“ Dieser Mehraufwand zahle sich aus. Ihre ausländischen Kollegen erlebt die Oberärztin als besonders engagiert. „Sie sind eine absolute Bereicherung, auch was das Arbeitsklima betrifft“, findet sie. „Ohne meinen deutschen Kollegen zu nahe zu treten: Mit den ausländischen Ärzten kommt noch mehr Herzlichkeit ins Haus.“
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