Wenn´s im Kollegenkreis knistert

  • Beruf & Karriere
  • 10.08.2018

Die Assistenzzeit von Laura hatte erst vor ein paar Monaten begonnen, als es zu einem amourösen Zwischenfall kam. Die Anästhesistin nahm an einer langen und schwierigen OP teil. Der Chefarzt operierte. Obwohl das Team alles gab, starb der Patient. „Ich war so fertig und deprimiert, dass ich mich nach Trost und Geborgenheit sehnte“, erinnert sich die Berlinerin. Dem Chefarzt, mit dem sie in den vergangenen Stunden auf engstem Raum immer wieder Blicke gewechselt hatte, schien es ähnlich zu gehen. Noch in dieser Nacht kamen sie sich näher. Am nächsten Tag war Laura der One-Night-Stand unangenehm. Doch vom Chefarzt erhielt sie immer wieder Textnachrichten, auf die sie aber nicht reagierte. Die Messages hörten erst auf, als er das Krankenhaus wechselte.

Dr. Martin Goßmann ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und arbeitet als Coach. Wir haben ihn nach Tipps dazu gefragt, wie man sich als medizinischer Newcomer im Krankenhausalltag verhält, wenn einen Amors Pfeil doch einmal trifft.

Ist eine professionelle Zusammenarbeit im Krankenhaus überhaupt möglich, wenn zwei Kollegen eine Liebesbeziehung führen?

Hier muss ich mit Ja und nein antworten. Denn es kommt auf die Qualität der Beziehung an. Wenn es gut läuft, läuft es zuhause und bei der Arbeit gut. Wenn es schlecht läuft, läuft es leider auch zuhause und bei der Arbeit schlecht. 

Haben Sie während Ihrer Assistenzarztzeit ein solches Beispiel erlebt?

Nicht als Arzt, sondern als Patient. Bei mir bestand Verdacht auf Blinddarmentzündung; ausgerechnet im Urlaub! Aber so ganz klar war es nach der Untersuchung durch die aufnehmende Internistin, den Ultraschall und den MRT-Befund nicht. Darum wurde ein Chirurg hinzugeholt. Er legte kurz die Hand auf meinen Bauch und sagte: "Das operieren wir!" Und wem schaute er dabei in die Augen? Der jungen Kollegin, die an dem Tag gerade ihren Dienst in der Chirurgie begonnen hatte. Mir kam es so vor, als wolle er ihr zeigen, was für ein heldenhafter Chirurg er ist, sofort im Bilde und gleich handlungsbereit; aber da kann ich mich natürlich auch getäuscht haben. Am Ende war es jedenfalls keine Blinddarmentzündung.
 

Kann zusammenschweißen, aber auch für Stress sorgen: Paare, die am gleichen Arbeitsplatz tätig sind, stehen unter besonderer Beobachtung.
 

Wenn sich tatsächlich eine Beziehung entwickelt, soll das Paar den Kollegen gegenüber offen sein oder die Partnerschaft lieber verschweigen?

Paarbeziehungen am Arbeitsplatz geheim zu halten führt sicher zu mehr Klatsch und Tratsch, als die Beziehung offen zu leben. Warum Anlass für Spekulationen geben, wenn wir doch auch Anlass für ehrliche Beziehungen zu unseren Kollegen haben? Schwierig wird es, wenn das Paar Probleme hat und sich tagsüber nicht aus dem Wege gehen kann, obwohl man das vielleicht gerne möchte. In dem Fall kann es schwer sein, die Trennungskonflikte aus der Arbeit herauszuhalten, dann lenken sie ab. Schließlich lassen wir unser Herz nicht an der Tür zurück, wenn wir die Station betreten.
 

Liebe am Arbeitsplatz

Die Deutschen denken konservativ: Bei einer forsa-Studie aus dem Jahr 2017 für das berufliche Netzwerk XING gaben zwar 25 Prozent der Teilnehmer an, sich im Job schon einmal verliebt zu haben. 80 Prozent von ihnen flogen auf Kollegen, nur acht Prozent hatten sich in ihren Vorgesetzten oder ihr Vorgesetzte verknallt. Fast zwei Drittel sagten aber, dass eine feste Partnerschaft am Arbeitsplatz für sie nicht in Frage komme. Gerade die jüngeren sehen das Thema skeptisch: Gut die Hälfte der befragten Arbeitnehmer zwischen 18 und 29 Jahren lehnt eine Beziehung im Job ab.
 

Was raten Sie jemandem, der sich innerhalb des Krankenhauskollegiums verliebt hat?

Egal ob Vorgesetzter oder Kollege, bei einer Affäre am Arbeitsplatz sollte sich jeder grundsätzlich überlegen, ob es der kurze erotische Kick wert ist. Bei One-Night-Stands mit Kollegen sieht man den Partner in der Regel danach das ganze Jahr über, muss zusammen arbeiten, vielleicht sogar unangenehme Anweisungen geben oder empfangen. Hinzu kommen etwaige Eifersüchteleien, Tratsch und Intrigen von Kolleginnen und Kollegen.

Welche Annäherungen sind erlaubt und was ist absolut tabu?

Ich habe es zwar selbst nie selber erlebt, dass zum Beispiel Ärzte in herausgehobener Position jüngere, von ihnen beruflich abhängige Mediziner ausgenutzt haben. Das heißt aber nicht, dass so etwas nicht vorkommt. Aus meiner Sicht ist es ein Tabu, die Situation eines anderen auszunutzen. Und ich würde auch umgekehrt sagen: sich anzudienen ist genauso tabu. Daraus entsteht auch keine gute Karriere. Und natürlich sind Übergriffe tabu. 

Aber wo fangen die an?

Sie fangen bei der Intention an. Gerade weil solche Situationen manchmal nicht so klar sind, ist es schwierig zu reagieren. Und selbst wenn sie klar sind, kann es schwierig sein. Dabei spielt der Überraschungseffekt natürlich eine Rolle; und womöglich die Angst, dass der andere sagt‚ "das hast du dir doch nur eingebildet". Aber es ist wichtig, sich zu äußern und mindestens mit Vertrauten darüber zu sprechen. Und dann gemeinsam zu überlegen, was als Nächstes zu tun ist. Es geht ja darum, zu verhindern, dass so etwas wieder passiert.
 

Sexuelle Belästigung in der Medizin

Spätestens seit Beginn der  #Me too-Bewegung tobt eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie stark sexuelle Belästigung - nicht nur von Frauen - verbreitet ist. "Das Problem sexueller Übergriffe ist nach meinem Gefühl in der Medizin so groß wie überall sonst", schreibt zum Beispiel Rehsma Jagsi, eine amerikanische Medizin-Professorin, die zu dem Thema forscht. Laut einer Umfrage des Weltärztinnenbundes war etwa jede dritte Medizinerin weltweit schon einmal Opfer von Belästigung im beruflichen Kontext, viele davon während ihrer Studienzeit oder als Berufseinsteigerin. Für Deutschland fehlt es bislang an aussagekräftigen Daten. Der Deutsche Ärztinnenbund hat ein Faltblatt dazu herausgegeben, an wen Betroffene sich wenden können. Beschwerden und Fragen zum Thema können betroffene Frauen auch direkt an die E-Mail-Adresse hilfe@aerztinnenbund.de senden.