Karriere und Kindersegen
Sie ist Chefärztin – und fünffache Mutter: Die Privatdozentin Dr. med. Mandy Mangler meint, dass es viel mehr Medizinerinnen wie sie nach oben schaffen würden. Dazu müssten Männer und Frauen sich unter anderem von traditionellen Geschlechterrollen verabschieden.
In ihrem Chefzimmer ist Mandy Mangler nicht allein. Die Leiterin der Gynäkologie und Geburtsmedizin am Berliner Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum hat einen Teil ihres Büros zum Kinderzimmer umfunktioniert, mit Gitterbett, Krabbeldecke und viel buntem Babyspielzeug. Ihre jüngste Tochter ist noch kein Jahr alt und jeden Tag dabei, wenn die Mutter arbeitet. Die Chefärztin nimmt sich zwischendurch immer wieder Zeit für ihr Kind. Manchmal setzt sie die Kleine ins Tragetuch, während sie verschiedenen Tätigkeiten auf der Station nachgeht. Wenn Mangler operiert oder komplexe Fälle betreuen muss, ist eine Kinderfrau zur Stelle, die Mutter und Baby täglich mehrere Stunden in der Klinik begleitet.
Für deutsche Verhältnisse ist das eine ungewöhnliche Lösung. Die 41-jährige Ärztin war schon zwei Monate nach der Geburt ihrer Jüngsten wieder voll im Einsatz. Sie findet das Arrangement ideal: „Bei meinen anderen Kindern bin ich länger zu Hause geblieben. Jetzt habe ich mein Baby immer in der Nähe, kann ganztags arbeiten, ohne meine Tochter zu vermissen.“ Ihre ersten drei Kinder, bekam sie während ihrer Weiterbildung, damals noch an der Charité. Jedes Mal machte sie elf Monate Babypause. Nummer vier, ein Mädchen, erblickte das Licht der Welt, als Mandy Mangler kommissarische Leiterin der Gynäkologie am Campus Mitte der Charité war. Nach einem halben Jahr Auszeit übernahm sie 2016 ihre jetzige Chefarztposition bei Vivantes. Es schmerzte sie jedoch, während der Arbeit von ihrem Kind getrennt zu sein.
Bittersüßes Geheimnis
Kurze Zeit später wurde Mangler wieder schwanger; in der Klinik behielt sie das jedoch bis zur 32. Woche für sich. Trotz aller Leistungen, die sie vorzuweisen hat, wollte sie vermeiden, dass man sie anders behandelte. „In Deutschland dürfen schwangere Ärztinnen bestimmte Aufgaben nicht uneingeschränkt übernehmen, zum Beispiel das Operieren“, erklärt sie. „Inzwischen gibt es zwar ein neues Mutterschutzgesetz, aber in der Praxis werden Medizinerinnen noch immer von vielen klinischen Tätigkeiten ausgeschlossen, auch aus dem OP, sobald sie ihre Schwangerschaft bekanntgeben.“
Das Versteckspiel vor der Geburt ist nicht das einzige Problem: Auch die anschließende Elternzeit ist nach Manglers Erfahrung ein großes Konfliktthema: „Als mein zweites Kind unterwegs war, sagte mein damaliger Vorgesetzter: ‚Dann lohnt es sich ja nicht mehr, in Sie zu investieren‘.“ Männliche Kollegen, die eine Auszeit nehmen möchten, würden ebenfalls benachteiligt. So sah sich ein befreundeter Arzt gezwungen, nach seiner Elternzeit die Klinik zu wechseln – der alte Arbeitgeber hatte gedroht, ihn nicht weiter zu fördern.
Ein Herz für tolle Frauen
Für die Gynäkologie entschied sich PD Dr. med. Mandy Mangler, weil sie „Frauen toll findet“, sie als Stützen der Gesellschaft betrachtet und sich für sie stark machen will. Nach dem Studium an der Freien Universität in ihrer Geburtsstadt Berlin arbeitete sie zwölf Jahre an der Charité und stieg bis zur kommissarischen Chefin der Gynäkologie am Campus Mitte auf. Auf Dauer hätte sie jedoch mit dem Stellvertreterposten vorlieb nehmen müssen, weshalb sie 2016 ans Auguste-Viktoria-Klinikum wechselte. Als Chefärztin ist sie dort für rund 60 Mitarbeiter verantwortlich. In der zugehörigen Geburtsstation kommen im Jahr zirka 1.700 Kinder zur Welt.
Die Chefin rät jungen Kolleginnen und Kollegen, sich nicht einschüchtern zu lassen, es sich jedoch auch nicht bequem zu machen. „Geht nicht gibt’s nicht“, betont sie. „Man muss aber Kompromisse eingehen. Dazu gehört, als Mutter die Kinder loszulassen und sich als Vater stärker in der Familie zu engagieren.“ In anderen europäischen Ländern wie Frankreich klappe das besser. „Es gibt dort nicht diesen Automatismus, dass Mütter nach der Geburt ein Jahr zu Hause bleiben“ so Mangler. „Egal, wie emanzipiert junge Frauen heute sind: Sobald das erste Kind kommt, treten viele im Job kürzer, während ihre Männer relativ unbeeinflusst weiterarbeiten wie vorher. Erfreulicherweise gibt es aber auch immer mehr Paare, die wissen, dass sie gute Eltern sein können und trotzdem beruflich erfolgreich. Ihnen gehört die Zukunft.“
Beruflicher Erfolg bedeutet für die Berlinerin nicht unbedingt eine steile Karriere in einem Prestigejob. Es zählt nicht nur der Frauenanteil in den Chefetagen, findet sie. Es sei ebenso wichtig, dass die Gesellschaft die typischen Frauen- und Männerberufe überwinde, zum Beispiel dadurch, dass sich mehr Männer für eine Arbeit als Erzieher oder Krankenpfleger entscheiden.
Der Alltag ist straff organisiert
Mangler und ihr Partner, der Vorstand einer Klinikkette ist, versuchen sich die Familienarbeit ausgewogen zu teilen. „Bei uns ist alles durchorganisiert wie beim Militär“, scherzt die Gynäkologin. Es gibt einen Wochenplan mit Terminen und Aufgaben. Normalerweise ist die Chefärztin ab sechs Uhr morgens in der Klinik. Ein Au-pair-Mädchen begleitet die größeren Kinder zur Schule; der Vater liefert die Kleineren in der Kita ab. Oft springt auch die ebenfalls in Berlin lebende Oma ein, zum Beispiel wenn der Nachwuchs krank ist. Die Nachmittage hält sich Mangler für ihre Kinder frei, sofern kein dringender Termin oder Notfall dazwischen kommt. Sie ist für die Klinik 24 Stunden erreichbar, arbeitet gut 60 Stunden die Woche – darin sind Schreibtischaufgaben eingerechnet, die sie abends zu Hause erledigt.
Am Auguste-Viktoria-Klinikum ist die Aufsteigerin eine Ausnahmeerscheinung: Unter den 20 Chefärzten findet man nur zwei Frauen. „Das ist sehr wenig“, sagt Mangler. Helfen könnte aus ihrer Sicht ein flexibleres Arbeitsmodell für frischgebackene Mütter. Die Chefin wäre froh, wenn ihr Beispiel Schule machen würde: „Ich würde es meinen Mitarbeiterinnen sofort genehmigen, wenn sie nach einer kurzen Auszeit wiederkommen und ihr Baby während der Arbeitszeit betreuen möchten. Es gibt doch auch Kollegen, die Raucherpausen machen – warum sollen Babypausen nicht möglich sein?“