Faire Arbeitsbedingungen für Tierärzte

  • Beruf & Karriere
  • 01.04.2019

Immer mehr Tierärzte arbeiten als Angestellte. Viele sind unzufrieden: In Praxen und Kliniken verdienen Veterinäre oft relativ wenig und machen viele Überstunden. Der Bund angestellter Tierärzte (BaT) will dies ändern. Mitbegründer Dr. Christian Wunderlich ermutigt angehende Kollegen, sich nicht alles gefallen zu lassen. Arbeitgeber nehmen bereits jetzt einen Aufbruch hin zu besseren Arbeitsbedingungen für Angestellte wahr.

Forscher der Freien Universität Berlin befragten vor etwa zwei Jahren rund 1.200 Praxisassistenten in ganz Deutschland und lieferten denkwürdige Zahlen: Laut der Studie arbeitet nahezu die Hälfte der angestellten Veterinäre länger als gesetzlich erlaubt. Im Schnitt erhalten abhängig beschäftigte Tierärzte in Kliniken und Praxen signifikant weniger Geld als andere Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss. Einige Berufsanfänger bekommen noch nicht einmal den Mindestlohn, so die Erhebung. Wir haben beim BaT nachgefragt, wie der Interessenverband die Situation einschätzt.

Dr. Christian Wunderlich,
1. Vorsitzender BaT
Foto: privat
 

Herr Dr. Wunderlich, Sie haben vor ein paar Jahren der Klinik den Rücken gekehrt und arbeiten jetzt als Veterinär in der Industrie. Warum?

Ich habe davor an einer Uniklinik als angestellter Tierarzt gearbeitet und promoviert. Dort hätte ich auch weitermachen können, das war für mich aber nicht mehr tragbar. Wie an anderen Kliniken wurde gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen. Wir hatten beispielsweise an Wochenenden durchgehend Bereitschaft und montags dann einen normalen Arbeitstag. Ich habe meine Chefs darauf angesprochen, dass das fahrlässig ist. Mache ich etwas falsch – bricht zum Beispiel ein Rind aus und verletzt jemanden – dann hafte ich dafür persönlich, weil ich nicht ausgeruht war. Die Alteingesessenen haben meine Kritik als Affront gesehen, nach dem Motto: Wir mussten das als junge Veterinäre erleiden, also müsst ihr da auch durch. Das ging bis hin zu persönlichen Anfeindungen. Nach einem halben Jahr bin ich in die Pharmaindustrie gewechselt. Hier läuft alles geregelt, und man erlebt eine höhere Wertschätzung als Mitarbeiter.

Mit Ihrem Verein wollen Sie für alle angestellten Tierärzte bessere Arbeitsverhältnisse erreichen. Was fordern Sie?

Wir haben unsere Mitglieder befragt, was ihnen wichtig ist, und daraus Standards für Angestelltenverhältnisse abgeleitet. Ein wesentlicher Punkt ist eine angemessene Bezahlung, die sich an den Tarifverträgen für Humanmediziner orientiert. Das wäre ein Einstiegsgehalt von mindestens 3.500 Euro im Monat, nach der Probezeit kämen weitere 370 Euro dazu. Aktuell liegen die tatsächlichen Einstiegsgehälter häufig bei rund 2.000 Euro. Neben Geld ist auch die Arbeitsbelastung ein großes Thema: Kliniken und Praxen sollen sich endlich an die gesetzlichen Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen halten, etwa eine Zeiterfassung einführen.

Viele Arbeitgeber werden sagen: Bei 3.500 Euro Gehalt kann ich mir keine Angestellten mehr leisten…

Wir sind überzeugt, dass Kliniken und gutgehende Praxen sich höhere Gehälter leisten können. Für unsere Berufssparte ist allerdings die geringe Zahlungsbereitschaft der Kunden ein Problem. Das Preisniveau ist in Deutschland sehr niedrig. Einen Hund impfen zu lassen, kostet laut Gebührenordnung rund 23 Euro – in anderen Ländern wie etwa Großbritannien bestimmen Tierärzte selbst den Preis. Wir als BaT begrüßen grundsätzlich die Abrechnung nach real erbrachter Leistung. Der Markt würde langfristig auch ohne Gebührenordnung funktionieren. Aber auch heute schon könnten viele Praxen mehr umsetzen, zum Beispiel im Kleintierbereich, indem sie konsequent alle Leistungen abrechnen – wenn drei Spritzen gegeben wurden, werden auch drei bezahlt. Bei kleinen Praxen kann es aber sein, dass die Finanzen eigentlich gar keinen Angestellten rechtfertigen.
 

Frauen setzen den Trend

In Deutschland arbeiten heute deutlich mehr angestellte Veterinäre als vor einigen Jahren: Laut Bundestierärztekammer waren 2017 zirka 16.200 Tierärzte abhängig beschäftigt, gegenüber rund 11.400 im Jahr 2007 (ohne Beamte und Bundeswehr). Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es immer mehr weibliche Tierärzte gibt. 2017 waren 85 Prozent aller Veterinärmedizin-Absolventen und 83 Prozent der Praxisassistenten Frauen. Viele junge Veterinärinnen möchten beruflich flexibel bleiben und erst einmal keine Praxis gründen – weil dies zum Beispiel mit der Familienplanung kollidiert. Größere Praxisverbünde und Tierklinikketten, die zurzeit auf den deutschen Markt drängen, schaffen neue Jobs und verstärken den Trend zum Angestelltendasein.

Was können junge Tierärzte selbst tun?

Mein Appell lautet: Ihr seid etwas wert, fordert es auch ein. Wir sehen leider, dass Veterinäre im Studium förmlich gebrochen werden. Es gibt Dozenten, die sagen: Ihr könnt nichts. Viele trauen sich dann nicht, bei Gehaltsverhandlungen 3.500 Euro zu verlangen. Das sollte man aber ruhig tun – runtergehen kann man immer noch.

Wenn schon Studierende Ihrer Ansicht nach zu wenig Wertschätzung finden: Muss sich an den Hochschulen etwas ändern?

Wir wünschen uns, dass sich mehr Studierende für faire Arbeit engagieren, obwohl allein das Studium schon sehr anstrengend ist. Gemeinsam mit dem Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden machen wir an fünf Unis regelmäßig Informationsveranstaltungen für PJ-ler. Unsere Botschaft: Hinterfragt, was ihr an der Uni und im PJ erlebt. Macht mit in studentischen Gremien, da könnt ihr direkt Einfluss nehmen, zum Beispiel auf die Arbeitszeiten studentischer Hilfskräfte. Wenn ihr als Praktikanten Überstunden machen sollt, traut euch nachzufragen, ob das auch anders geht. Arbeitet vielleicht erst einmal zur Probe, um zu sehen, ob die Bedingungen fair sind. Es gibt immer mehr positive Beispiele von Kliniken und Praxen, die gute Standards haben, etwa eine geregelte Arbeitszeit von 40 Stunden, vertraglich festgelegte Rufbereitschaften und konkrete Zielvereinbarungen mit den Angestellten.
 

Der Bund angestellter Tierärzte

Dr. Christian Wunderlich (32) und Dr. Leonie Wolters (31) gründeten den Interessenverband 2016. Der BaT setzt sich für angestellte Tierärzte in der Praxis sowie in Behörden, in der Industrie und Forschung ein. Hier geht es zur Internetseite des Vereins.

Der BaT ist keine Gewerkschaft und kann keine Tarife aushandeln. Wie wollen Sie Ihre Ziele durchsetzen?

Aktuell sind wir keine Gewerkschaft, aber wir streben das an. Zurzeit haben wir ungefähr 340 Mitglieder, was noch zu wenig ist. Außerdem fehlt eine Arbeitgebervertretung. Momentan gibt es den Bundesverband praktizierender Tierärzte, in dem aber Kliniken, Praxisinhaber und Angestellte vertreten sind. Möglicherweise gründet sich schon bald ein reiner Arbeitgeberverband, mit dem wir in Zukunft zusammenarbeiten können. Bis dahin konzentrieren wir uns auf Aufklärung, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit.

Können Sie sich vorstellen, später wieder in einer Praxis oder Klinik zu arbeiten?

Vor ein paar Jahren habe ich überlegt, mich selbstständig zu machen. Allerdings hätte ich mich in eine Praxis einkaufen und die dortigen Gepflogenheiten übernehmen müssen. Ich wollte mir erst ansehen, was man in der Industrie lernen kann. In meiner jetzigen Position besuche ich Tierärzte und Landwirte, arbeite also auch am Tier. Gleichzeitig lerne ich viel dazu, vor allem wie man ein Team führt und Mitarbeiter motiviert. Wenn ich eines Tages doch eine Praxis gründen sollte, dann von null an, nach meinen Vorstellungen.
 

„Der Aufbruch ist spürbar"

Foto: Tierklinik Lüneburg

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