Famulatur in Fernost
Nein, dass er in China landen würde, war eigentlich gar nicht geplant. Nur dass Tobias Buchacker, Medizinstudent in Hannover, unbedingt eine Famulatur im Ausland absolvieren wollte, das wusste er schon lange. Die erste Famulatur hatte ihn in eine Hausarztpraxis geführt, die zweite in eine zentrale Notaufnahme. „Aber ich finde, man muss das Studium unbedingt nutzen, um auch die Arbeitsbedingungen in anderen Ländern kennenzulernen“, so Buchacker. Dementsprechend schnell war er überzeugt, als das Auslandsamt der Medizinischen Hochschule Hannover ihm im April vorschlug, an einem Austauschprogramm teilzunehmen: Ein Monat im zentralchinesischen Wuhan, an der renommierten Klinik der Tongji-Universität, zusammen mit zwölf weiteren angehenden Medizinern aus Lübeck, Jena und München. Kurz nach seiner Rückkehr erzählt er, warum man keine Angst vor chinesischem Essen haben muss – und wie er den Stationsalltag in Wuhan erlebt hat.
Famulatur in China – das klingt erst einmal nach viel Organisationsaufwand im Vorfeld…
Im Gegenteil, es war eigentlich ziemlich einfach, das akademische Auslandsamt der Uni hat fast alles organisiert, vom Studentenvisum bis zur Unterkunft. Ich musste eigentlich nur noch die Flüge buchen und mich impfen lassen. Außerdem habe ich 300 Euro Stipendium bekommen, das war recht komfortabel. Die chinesischen Studenten, die umgekehrt nach Deutschland kommen, haben es da nicht so leicht – sie müssen fast alles selbst organisieren und finanzieren. Das liegt auch daran, dass Auslandsaufenthalte bei Chinesen insgesamt hoch im Kurs stehen. Für eine wissenschaftliche Karriere sind sie dort ein Muss.
Stichwort Unterkunft: Wie wart ihr vor Ort untergebracht?
Da hatten wir echt Glück: in einem Hotel mit Schwimmbad und gutem Frühstück direkt gegenüber dem Krankenhaus. Im 26. Stock gab es sogar ein Panoramarestaurant, von dem aus man fast ganz Wuhan überblicken konnte. Ich habe mir ein Doppelzimmer mit einem Kommilitonen geteilt, der schon als Kind länger in China gelebt hat und die Sprache deshalb fast perfekt beherrscht. Das war für mich purer Luxus, so hatte ich quasi immer meinen privaten Übersetzer.
Und wo genau in der Klinik warst Du dann eingesetzt, auf welcher Station?
In der Hämatologie, das hatte ich mir selbst ausgesucht. Diese Abteilung ist eines der Aushängeschilder der Klinik, es fliegen sogar viele Patienten aus dem Ausland dort ein, um sich behandeln zu lassen. Ich war auf einer Station mit etwa 30 Betten im Einsatz. Zum Glück beherrschen dort die meisten Kollegen Englisch oder Deutsch, weil viele schon selbst im Ausland waren, insofern war die Verständigung kein Problem. Mit den Patienten allerdings doch, gerade die Älteren sprechen oft nur Chinesisch. Das macht Untersuchungen natürlich schwierig. Ich habe mich also viel mit Dokumentationsarbeit und zum Beispiel Laborauswertungen beschäftigt.
Wie lief denn der Alltag ab, ist das ähnlich wie hier in Deutschland in der Klinik?
Ja, das ist absolut vergleichbar, auch das Medizinstudium unterscheidet sich wohl nicht sehr vom deutschen System. Allerdings gibt es in China keinen Ärztemangel, tendenziell sind die Stationen vergleichsweise gut besetzt. Angenehmerweise sind auch die Hierarchien ziemlich flach. Ich habe den Alltag als recht entspannt erlebt, für die Patienten nehmen sich die Ärzte relativ viel Zeit. Die Arbeitstage sind aber viel länger als hier. Chirurgen haben oft bis zu fünf Nachtschichten in der Woche. Es gibt nur fünf Urlaubstage im Jahr, Wochenend-Arbeit ist Pflicht. Da muss man schon viel Bereitschaft zur Aufopferung mitbringen.
Wie steht es denn mit den medizinischen Standards?
Die sind absolut mit dem europäischen Level vergleichbar. In der Uniklinik waren die Kollegen interessanterweise auch sehr skeptisch, was die Traditionelle chinesische Medizin anbelangt, die spielte dort überhaupt keine Rolle. Sehr reduziert ist übrigens die Pflege in chinesischen Krankenhäusern: Das Personal gibt eigentlich nur die Medikamente aus. Alles andere erledigen die Angehörigen, die dann oft rund um die Uhr beim Patienten sind. Das ist schon gewöhnungsbedürftig: Da schlafen schon mal Leute auf dem Boden und in einem Zimmer mit sechs Betten stehen sich 20 Leute gegenseitig auf den Füßen.
Gab es noch etwas, dass du als gewöhnungsbedürftig empfunden hast?
In der Klinik nicht unbedingt, aber außerhalb: Als Europäer hat man echten Exoten-Status in China. Wenn ich zum Beispiel mit meinen zwei großen, blonden Kommilitonen unterwegs war, haben sich die Leute ständig umgedreht. Gewöhnungsbedürftig ist auch die hohe Luftverschmutzung. Und die Tatsache, dass es für unsereins ganz schön schwer ist, Schuhe und Bekleidung zu finden: Ich habe Schuhgröße 46 – da hat man in China keine Chance.
Aber ansonsten…
… war es eine großartige Zeit. Das Essen war fantastisch. Wir sind viel herumgereist, haben die chinesische Mauer gesehen, Peking und die frühere Hauptstadt Xian, am Ende noch Shanghai. Das sind Eindrücke, die einem keiner mehr nehmen kann.
Und wie geht´s jetzt weiter?
Erst einmal schreibe ich meine Doktorarbeit, danach ist noch eine Famulatur geplant. Da würde ich mir gerne Chirurgie oder Radiologie ansehen. Und im Frühjahr 2019 steht das Staatsexamen an. Wer weiß, vielleicht gehe ich auch irgendwann noch einmal ins Ausland – die China-Erfahrung hat mir gezeigt, wie bereichernd das ist.
Die Tongji-Uniklinik in Wuhan
Die10-Millionen-Einwohner-Metropole Wuhan ist die Haupstadt der Provinz Hubei in Mittelchina. Sie ist geprägt von Industrie und moderner, zweckmäßiger Hochhaus-Architektur. Touristische Highlights sind dagegen eher rar. Das Tongji-Hospital des Tongji Medical College gehört zu den renommiertesten Krankenhäusern des Landes und kooperiert mit zahlreichen internationalen Universitätskliniken. Insgesamt sind fast 9.000 Mitarbeiter hier beschäftigt. Gegründet hat die Klinik im Jahr 1900 ein Deutscher: Erich Paulum, ein Arzt aus Braunschweig.