Mit Pillen durch die Prüfung?
Manche Studierende nehmen Medikamente oder Drogen, um ihre geistige Leistung zu steigern. Wo fängt Gehirndoping an – und welche Folgen hat es? Der Lübecker Mediziner Dr. Thomas Kötter klärt auf.
Vor der Klausur schnell noch eine Tasse Kaffee – kein Problem, sollte man meinen. Kommt darauf an, sagt Privatdozent Dr. med. Thomas Kötter, Hausarzt und Leiter der Arbeitsgruppe Studierendengesundheit am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Universität Lübeck. Ob Stimulanzien wie Koffein harmlos oder bedenklich sind, hängt davon ab, warum jemand dazu greift. Kötter und seine Kollegen haben Studierende zum Thema Hirndoping befragt. Von den rund 1.300 Studienteilnehmern waren etwa die Hälfte Mediziner; auch einige Psychologen machten mit.
Herr Dr. Kötter, in Ihrer Studie haben Sie nicht nur nach verschreibungspflichtigen Arzneien und illegalen Drogen gefragt, sondern auch nach Genussmitteln wie Kaffee. Warum?
Wir haben Doping ähnlich definiert wie die Sportmedizin. Entscheidend ist nicht die Substanz an sich, sondern die Motivation, mit der ich sie einnehme. Zum Beispiel kann ich Ibuprofen gegen akute Kopfschmerzen einsetzen – das hätte nichts mit Doping zu tun. Nehme ich die Tablette aber, um nach einer starken Belastung schneller wieder trainieren zu können, kann das der erste Schritt zu weiterem Medikamentenmissbrauch sein. Diese sogenannte Gateway-Hypothese ist im Leistungssport gut belegt. Auf das Studium bezogen bedeutet sie: Wer Kaffee trinkt, um sich besser konzentrieren zu können, nimmt vielleicht bald Koffeintabletten, später dann stärkere Medikamente.
Wie viele Studierende betreiben Hirndoping mit rezeptpflichtigen Arzneien oder Drogen?
Laut unserer Studie ein ganz kleiner Teil der Studenten von etwa einem Prozent, die damit gezielt ihre Leistung steigern wollen. Rund fünf Prozent der Befragten greifen zu solchen Substanzen, um „abzuschalten“. Das deckt sich mit den Ergebnissen der bundesweiten HISBUS-Studie zum Thema Stresskompensation bei Studierenden. Es ist an deutschen Hochschulen also ein Randphänomen – auch in heilberuflichen Fächern.
Was wird zum Beispiel genommen?
Meist Amphetamine wie Ritalin, Antidementiva oder Antidepressiva. Vermutlich gehen die Konsumenten davon aus, dass Substanzen, die bei Kranken bestimmte Defizite wie ADHS, Demenz oder Depressionen lindern, einem Gesunden dabei helfen können, noch besser zu funktionieren. Im Amerikanischen gibt es dafür den Begriff „feeling better than well“. Es geht also um Selbstoptimierung. Marihuana ist die häufigste illegale Droge, die genommen wird, allerdings in der Regel zum Entspannen.
Lernen auf Droge: in den USA stärker verbreitet
Ob an amerikanischen Universitäten gerade Prüfungen anstehen, zeigt sich offenbar in den Campus-Abwässern: 2012 haben Wissenschaftler in der Kanalisation unter Studentenwohnheimen im Nordwesten der USA vermehrt Amphetamin-Abbauprodukte festgestellt. Befragungsergebnisse einer anderen Studie passen zu diesen Indizien: Etwa jeder fünfte Elite-Student in den USA gab an, während der Prüfungsphase schon einmal verschreibungspflichtige Arzneien zur Leistungssteigerung eingenommen zu haben. Weniger sorglos gehen Studierende in Deutschland mit Pillen um: Laut der HISBUS-Studie im Auftrag des Bundesbildungsministeriums haben lediglich fünf Prozent bereits Neuro-Enhancement mit Medikamenten oder illegalen Drogen betrieben.
Welche Effekte haben diese Substanzen?
Sehr interessant dabei ist: Für keines der gängigen Dopingmittel, ob legal oder illegal, ist nachgewiesen, dass es die höheren kognitiven Funktionen positiv beeinflusst. Kokain macht zwar wach und beschleunigt die Reflexe, aber dadurch lerne ich nicht besser. Die Konsumenten nehmen das aber anders wahr. Es gibt da erhebliche Placebo-Effekte.
Wie kommen die Studierenden an Psychopharmaka?
In der Regel tatsächlich auf Rezept vom Hausarzt oder Neurologen. Auch für heilberufliche Studenten dürfte das der übliche Weg sein. Es gibt leider Arztkollegen, die auf solche Wünsche eingehen. Ich selbst bin da sehr restriktiv, habe in der Praxis aber auch schon erlebt, dass eine Patientin sagt: „Wenn Sie mir nichts verschreiben, besorge ich mir eben Speed auf dem Campus.“ Andere kaufen sich ihr Ritalin im Internet. Im Allgemeinen sind die Konsumenten aber eher vorsichtig. Auch in einschlägigen Foren wird dazu geraten, lieber geprüfte Pillen auf Rezept zu verwenden. Heilberufler achten darauf möglicherweise noch mehr als andere Studenten.
Abgesehen von gefälschten Arzneien: Schadet Hirndoping nicht ohnehin schon der Gesundheit?
Unsere Studie hat einen Zusammenhang zwischen einem schlechteren seelischen Gesundheitszustand und dem Konsum illegaler Substanzen gezeigt. Allerdings wissen wir nicht, was Ursache und was Wirkung ist. Ob jemand abhängig wird, ist individuell sehr unterschiedlich – das kennt man ja von Alltagsdrogen wie Alkohol oder Nikotin. Einige rutschen schneller in die Sucht als andere. Kokain und Amphetamine haben allerdings ein eher hohes Abhängigkeitsrisiko, vor allem psychischer Art.
Woran erkenne ich, dass ich ein Problem habe?
Ganz schwierige Frage. Fast jeder trinkt mal Kaffee, um fit zu werden, das ist nicht problematisch. Aufpassen sollte man, wenn man vom Genussmittel auf Tabletten umsteigen möchte, also vom Espresso auf pures Koffein. Dann geht es nur noch um die Wirkung.
Angenommen, Freunde oder Kommilitonen nehmen etwas – wie sollte ich damit umgehen?
Es ist wichtig, mit der Person zu reden, am besten im Vertrauen. Wer zum Beispiel sieht, dass der Sitznachbar im Kurs immer dünner und blasser wird, sollte nicht einfach darüber hinwegsehen. Man kann anbieten, für denjenigen da zu sein oder auf Hilfsangebote der Uni hinweisen, wie zum Beispiel die psychologische Beratungsstelle oder Ansprechpartner für erkrankte Studierende in einer psychiatrischen Klinik.
Was können Hochschulen zur Prävention tun?
Wir sehen Hirndoping vor allem als Indiz für hohen Leistungsdruck. Es ist wichtig, dass die Hochschule eine Kultur pflegt, in der klar ist: Ich kann das Studium schaffen, ohne Substanzen einzunehmen. Hier in Lübeck haben wir zum Beispiel Aufklärungskampagnen auf Grundlage unserer Studie gemacht. Es gibt einen runden Tisch „Gesunde Hochschule“, an dem Uni-Mitarbeiter und Studenten teilnehmen. Wir haben hier allerdings eine besondere Situation, die es an anderen Hochschulen so nicht immer gibt. An unserem Institut forschen wir langfristig zur Studierendengesundheit und arbeiten interdisziplinär mit anderen Hochschuleinrichtungen zusammen. Das hat sich bewährt.