Immer Ärger mit dem Doktor
Für die Verteidigungsministerin und ausgebildete Ärztin Dr. med. Ursula von der Leyen ist es 2017 noch einmal gut gegangen: Der Ministerin wurden zwar „Fehler, aber kein Fehlverhalten" bei ihrer Promotion nachgewiesen, die sie zur Doktorin der Medizin machte. So formuliert es jedenfalls Prof. Dr. Christopher Baum, Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Für die Hochschule war das Grund genug, den Doktortitel nicht abzuerkennen.
Große Unterschiede in der Qualität
Die Affäre um von der Leyen wirft aber auch eine grundsätzliche Frage auf: Sind junge Mediziner überhaupt dafür gerüstet, eine Promotion erfolgreich zu schreiben? Die Bundesvereinigung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) sieht jedenfalls ein Problem darin, dass sich medizinische Promotionen in der Qualität bisweilen enorm unterscheiden. Was laut bvmd auch daran liegt, dass angehende Mediziner gemäß der ärztlichen Approbationsordnung im Studium praktisch keine Arbeiten verfassen müssen.
Deshalb fordert die Vereinigung unter anderem, dass „Medizinstudierende mehr Know-how über das wissenschaftliche Arbeiten erhalten“, wie Sprecherin Caroline Siech sagt. Denn nach wie vor ist der Doktortitel heiß begehrt: Mehr als die Hälfte der 10.000 angehenden Ärzte, die zum Beispiel 2016 ihr Studium erfolgreich abschlossen, promovierten laut Medizinischem Fakultätentag zum Dr. med.
Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens nicht verinnerlicht
Viele medizinische Dissertationen seien allerdings zu kurz und von zweifelhafter Qualität, meint zum Beispiel Prof. Dr. Gerhard Dannemann, Jurist an der Berliner Humboldt-Universität. Er arbeitet mit bei der Internetplattform VroniPlag, die Dissertationen auf Plagiate prüft. Bei bislang rund 100 medizinischen Promotionsschriften hat VroniPlag deutlich mehr als die Hälfte der Arbeit als Plagiat identifiziert.
Viele starten mit der Promotion während des Studiums, so Dannemann, meist im Rahmen von Gruppenarbeiten. Typisch sei eine Argumentation nach dem Muster ‚Das sind doch unsere Ergebnisse! Die können wir doch teilen!´. Zugleich versichern sie in ihren Arbeiten, diese ganz ohne fremde Hilfe geschrieben zu haben – was offensichtlich nicht zusammenpasst. Dannemann: „Die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens sind zwar theoretisch bekannt, aber man nutzt eben Abkürzungen und eigene Konventionen. So hat sich bei den medizinischen Promotionen eine eigene Subkultur entwickelt."
Der „Dr. med.“ wird international nicht anerkannt
Die oft schmale Qualität hat Folgen: Schon seit Jahren dürfen deutsche promovierte Mediziner beim Europäischen Forschungsrat keine Forschungsgelder mehr beantragen, weil der deutsche medizinische Doktor nicht dem internationalen Doctor of Philosophy entspricht, dem internationalen Doktor-Titel für fast alle Fächer. Um Geld aus dem EU-Topf zu erhalten, müssen sie deshalb zusätzlich nachweisen, dass sie wissenschaftlich arbeiten, zum Beispiel im Rahmen einer Professur.
Plagiats-Recherche auf VroniPlag: Viele medizinischen Promotionsschriften funktionieren nach dem Motto "Copy & Paste".
Was tun, um das Qualitätsproblem in den Griff zu bekommen? An der Berliner Charité zum Beispiel muss inzwischen jeder Doktorand und Habilitand eine Pflichtveranstaltung über gute wissenschaftliche Praxis besuchen. Immerhin 21 Fakultäten bieten laut Medizinischem Fakultätentag außerdem inzwischen Promotionsstudiengänge an. Für die bvmd der richtige Weg, so Caroline Siech: "Wir fordern mehr strukturierte Promotionsprogramme, in denen wissenschaftliches Arbeiten gelehrt wird und die in anderen Fächern längst Standard sind“.
Kann das Berufsdoktorat das Problem lösen?
Noch besser wäre es laut bvmd, die angehenden Mediziner bereits im Verlauf des Studiums eine wissenschaftliche Arbeit anfertigen zu lassen – und den Ärzten, wie etwa in den USA üblich, beim Berufsantritt den „Medical Doctor“ zu verleihen. „Aber zugleich müsse besonders Interessierten, die tief in ein Thema einsteigen wollen, ein nahtloser Übergang in ein PhD-Projekt ermöglicht werden“, sagt Siech.
Schon 2004 hatte auch derWissenschaftsrat vorgeschlagen, den Medizinern mit Abschluss ihres Studiums das Kürzel „MD" (Medical Doctor) als Namenszusatz zu verleihen, womit sie als Doktor angesprochen werden können. Jurist Dannemann hält das für eine vernünftige Lösung: „Da wird dem Volksmund Rechnung getragen und die Wissenschaft nicht weiter belastet."
Das sieht der Medizinische Fakultätentag allerdings anders. „Wir sehen keine Notwendigkeit für ein Berufsdoktorat“, sagt Generalsekretär Dr. Frank Wissing. „Es ist unnötig für die Berufsausübung.“ Auch vom Doctor of Philosophy als Ausbaustufe für den Dr. med hält er wenig. Besser sei es, für mehr Qualität bei den herkömmlichen medizinischen Promotionen zu sorgen. „Da muss man dann mit dem Europäischen Forschungsrat sprechen, damit dieser einen qualitativ hochwertigen `Dr. med.´ anerkennt“, sagt Wissing. „Ich bin da zuversichtlich".