Wenn nichts mehr geht

  • Studium & Lernen
  • 08.01.2019

Teika Prahl war schon immer ehrgeizig. Ihr Perfektionismus brachte sie im Studium der Tiermedizin an ihre Grenzen: Lernblockade. Mit Hilfe einer Psychologin und von Freunden überwand sie die Krise.

Immer das zu erreichen, was sie sich vorgenommen hat – für Teika Prahl war das seit ihrer Kindheit selbstverständlich. In ihrer Familie spielte Sport eine große Rolle. Schon früh verinnerlichte das Schwimm- und Triathlon-Talent: Alles zu geben heißt, auf 100 Prozent noch einmal 50 daraufzulegen. „Ich war ziemlich erfolgreich und bin mit dem Druck gut klargekommen“, erinnert sich die heute 34-Jährige.

Viel hilft viel? Diese Gleichung ging in ihrem Studium der Veterinärmedizin irgendwann nicht mehr auf. Im dritten Jahr an der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) hakte es vor Prüfungen immer häufiger. „Ich dachte, ich müsste den gesamten Stoff  in- und auswendig können. Das ist natürlich unmöglich, wenn man alle zehn Tage eine andere Prüfung hat“, erzählt Teika. Ihre Nächte am Schreibtisch wurden länger und länger, bis sie nur noch heulend dasaß. Sie entschied sich öfter dafür, eine Prüfung aufzuschieben. Bei einem Test war es besonders knapp: Die Stressgeplagte brauchte alle drei Anläufe, um zu bestehen. Sprach sie unter Kommilitonen über ihr Problem, schüttelten einige den Kopf. „Im elitären Kreis der Tiermediziner ist Prüfungsversagen ein Tabu – bei Studenten und vielen Professoren“, so Teikas Erfahrung.
 

Besser büffeln

Lern-Apps wie zum Beispiel "Lass mal kreuzen", Mindmaps, Karteikarten: Je nach Stoff und persönlicher Vorliebe bringen unterschiedliche Methoden ans Lernziel. Mehr zum Thema findest du hier auf ScrubsMag. Eine Liste seriöser Ratgeberliteratur für gestresste Studierende haben Psychologen der Universität Mainz auf ihrer Website zusammengestellt.

Heilberufler sehen Lernen als Kernkompetenz

Sie merkte, dass sie woanders Hilfe suchen musste. Von ihrem Bruder erhielt sie einen guten Tipp: Die Psychologisch-Therapeutische Beratung an der Universität Hannover (PTB) steht auch TiHo-Studierenden offen. „Dort fühlte ich mich zum ersten Mal nicht als Aussätzige“, sagt die Studentin. Für die Psychologin Christiane Maurer, die Teika beriet, war der Fall nichts Außergewöhnliches. Lernstörungen gehören zu den häufigsten Gründen, weshalb Studierende zur ihr kommen. „Gerade in den heilberuflichen Fächern mit strengem NC ist die Verunsicherung groß, wenn es mit dem Lernen nicht klappt. Gut lernen zu können, begreifen hier viele als ihre Kernkompetenz“, erklärt Maurer. Ein Patentrezept gegen Blockaden gebe es nicht, denn die Probleme sind vielseitig: Den einen fehlt die Motivation, andere lernen nicht effizient, wieder andere müssen sich irgendwann eingestehen, dass ihnen ihr Fach nicht liegt.

Hilfebedarf übersteigt das Therapieangebot

In den meisten Fällen kann das Beratungsteam den Studierenden einen neuen Weg aufzeigen. Die Mitarbeiter entwickeln dann mit den Betroffenen bessere Lernstrategien – oder sie raten dazu, sich an spezialisierte Stellen zu wenden, etwa an eine Sozialberatung oder eine Schreibwerkstatt. „Es gibt aber auch Lernschwierigkeiten in Folge einer psychischen Krankheit, zum Beispiel einer Depression oder Angststörung“, so Maurer. „Wir stellen keine Diagnosen, aber wir erkennen Anzeichen und empfehlen dann weitere Untersuchungen.“ Die PTB vermittelt 15 bis 20 Prozent der Betroffenen weiter in eine ambulante Therapie. Aus Sicht der Psychologin reichen die Hilfsangebote aber nicht aus: Studierende verlieren schon einmal ein Semester, während sie auf einen Therapieplatz warten.
 

„Studierenden mit Lernschwierigkeiten würde es helfen, wenn die Hochschulen flexibler damit umgehen würden: Sie könnten Prüfungen zum Beispiel grundsätzlich so anbieten, dass Studierende nicht ein ganzes Jahr aussetzen müssen, bis sie wieder eine Chance erhalten. Außerdem könnten die Hochschulen mehr zum Thema Nachteilsausgleich für Studierende mit chronischen Erkrankungen informieren.“
Christiane Maurer, Leiterin Psychologisch-Therapeutische Beratung für Studierende an der Leibniz Universität Hannover

 

Bootcamp vor der entscheidenden Prüfung

Teika Prahl war psychisch gesund, sie musste nicht in Behandlung; ihr genügte eine neue Lernstrategie: „Ich kam auf den Dreh, zuerst frühere Prüfungsfragen zu beantworten, dann die Themen dahinter anzugehen. Wenn dann noch Zeit war, habe ich das Vorlesungsmaterial gelesen.“ In der Praxis fiel es der Perfektionistin nicht leicht, sich an dieses Vorgehen zu halten. Aber sie bekam Hilfe aus ihrem Umfeld. Ihrem Freund las sie abends seitenlang aus Lehrbüchern vor, um sich den Stoff besser einzuprägen. Und als eine alles entscheidende dritte Prüfung bevorstand, lud eine Freundin Teika ein, bei ihr zu wohnen und mit ihr zu lernen.

„Es war hart, aber es lief“, erinnert sich die Veterinärin, die inzwischen ihr drittes Staatsexamen abgelegt hat – zwei Jahre über der Regelstudienzeit. „Ich bin sehr dankbar, dass ich Menschen um mich habe, die mich durch die Prüfungen gepusht haben.“ Eine Erkenntnis fürs Leben, die ihr bleiben wird: Es ist besser, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen.
 

Teika Prahl (34) wollte nach dem Abitur Humanmedizin studieren. In der Wartezeit machte sie eine Aus- und Weiterbildung zur Krankenpflegerin sowie zur Anästhesie- und Intensivschwester. In dieser Zeit orientierte sie sich neu und entschied sich für ihren anderen Kindheitstraum, die Tiermedizin. Inzwischen hat Teika ihren Abschluss und möchte in einer Pferde- und Rinderpraxis arbeiten. Später will sie sich auf Pferdezahnheilkunde und Chiropraktik für Kleintiere und Pferde spezialisieren.