Die feine denglische Art
Mitten in Deutschland erwirbt Philipp Klocke einen britischen Abschluss. Er studiert an der Kassel School of Medicine, die mit der University of Southampton kooperiert. Eine englische Spezialität sagt ihm besonders zu: Es wird schon im dritten Jahr geforscht.
Nach wie vor zieht es viele junge Europäer zum Studieren ins Vereinigte Königreich. Deutschland liegt hier an der Spitze der EU-Länder: Rund 13.000 deutsche Studierende sind aktuell an britischen Hochschulen eingeschrieben. Ob das so bleibt, ist ungewiss. Denn mit dem Brexit könnten zum Beispiel Visa und staatliche Studienkredite für EU-Ausländer eingeschränkt werden. Wer jedoch den Sprung auf die Inseln schafft und einen britischen Abschluss erwirbt, fährt voraussichtlich auch in Zukunft gut damit – Brexit hin oder her. Philipp Klocke ist davon überzeugt. Seit 2014 studiert er Medizin an der University of Southampton.
Für die Ausbildung im Ausland entschied sich der 22-Jährige unter anderem, weil er auch später gern international arbeiten möchte, wie er sagt: „Ich will über den Tellerrand schauen, fachlich und kulturell“. Schon in seiner Jugend ist er als Austauschschüler in den USA und Großbritannien gewesen. Nach dem Abitur lag es für ihn nahe, sich auch für englischsprachige Studiengänge zu bewerben. Aus der Zeitung erfuhr Philipp von einem besonderen Ausbildungsmodell: Die Kassel School of Medicine (KSM), die zur Klinikgruppe Gesundheit Nordhessen gehört, bietet seit 2013 unter der Regie der University of Southampton einen zweisprachigen Medizinstudiengang nach britischem Recht an. An dieser Kooperation wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern, so Amelie Becher, Sprecherin der KSM: „Natürlich hat uns die Entscheidung zum Brexit überrascht. Zwischen der Universität Southampton und der KSM bestand aber schnell Übereinstimmung, dass der Brexit keinerlei Auswirkungen auf die Lehrstandards an der KSM haben wird.“
Kürzeres Studium mit zwei Abschlüssen
Die Studierenden erwerben zwei Abschlüsse: den weltweit anerkannten Bachelor of Medicine, Bachelor of Surgery (BMBS) und den Bachelor of Medical Science (BMedSc). Die ersten zwei Jahre der Ausbildung verbringen die Studierenden in England, weitere drei Jahre in Kassel. Das Medizinstudium ist damit um zwei Semester kürzer als an einer deutschen Uni. Für Philipp Klocke war jedoch ein anderer Punkt interessanter: „Wissenschaftliche Kompetenz wird im Arztberuf immer wichtiger. An der Uni Southampton ist der Forschungsbezug sehr stark. Wir schreiben schon im dritten Jahr eine wissenschaftliche Arbeit.“ Diese Feuertaufe hat er inzwischen hinter sich. Jetzt, im vierten Studienjahr, steckt er mitten in der klinischen Ausbildung in Kassel.
Im August 2019 beginnt sein sogenanntes Foundation Year, das Anerkennungsjahr, das jeder angehende Arzt für die Vollapprobation in Großbritannien benötigt. „Es ist nicht das Gleiche wie das PJ, eher so etwas wie der frühere ‚Arzt im Praktikum‘. Man arbeitet ein Jahr lang in einem Krankenhaus und vertieft dabei seine Erfahrung“, erklärt er. Mit seinem Studium an der Kassel School of Medicine hat er sich verpflichtet, dieses praktische Jahr an einem Krankenhaus der Gesundheit Nordhessen zu absolvieren. So bindet das Unternehmen junge Ärzte für ein Jahr an eine Region, in der es Kliniken nicht immer leicht fällt, Stellen zu besetzen.
Stolz auf die Uni, gleichzeitig weltoffen
Für Philipp Klocke ist das ein fairer Deal – auch dann noch, wenn er die Studiengebühren einkalkuliert. Mehr als 10.000 Euro kostet ihn die staatliche Ausbildung pro Jahr, sowohl in England als auch in Kassel. Mit einem Studienkredit und mit der Hilfe seiner Familie kommt er über die Runden. „Klar ist das eine große finanzielle Hürde“, räumt er ein. „Aber man muss auch sehen, dass das kostenlose Studium in Deutschland ein Privileg ist. Dadurch, dass ich nach England gegangen bin, habe ich keinen Platz an einer deutschen Uni beansprucht. Diesen Platz kann jemand einnehmen, der einen geringeren finanziellen Spielraum hat.“ Jetzt, wo er wieder in der Heimat ist, vermisst er das britische Studentenleben. „Es gibt dort den ‚university pride‘, den Stolz auf die eigene Hochschule, und ein starkes Gemeinschaftsgefühl“, erzählt er. „Gleichzeitig sind dort alle sehr weltoffen und machen es Fremden leicht, Fuß zu fassen.“ Diese Offenheit, so hofft er, werden sich die Hochschulen bewahren. Egal, was sich in Europa politisch verändert.