Baby hört mit

  • Studium & Lernen
  • 15.03.2019

Haben Eltern die gleichen Chancen im Studium wie Kinderlose? Nicht unbedingt, sagt die Berliner Medizinstudentin Julia Peker-Vogelsang. Als Mutter zweier Kinder kämpft sie für familienfreundliche Studienbedingungen.

Formalin riecht streng und macht den 'Präpkurs' an sich schon unangenehm. Doch für Julia Peker-Vogelsang hatte der Konservierungsstoff einen noch übleren Nebeneffekt: Die junge Mutter durfte am Kurs für makroskopische Anatomie an der Berliner Charité nicht teilnehmen, solange sie ihr Baby stillte. Die geltende Gefahrstoffverordnung sah das so vor, denn das Formalin hätte dem Kind schaden können. So sinnvoll das ist: Der fehlende Kurs hätte die heute 39-Jährige beinahe das Studium gekostet. Sie musste sich ihr Anatomiewissen für die Klausuren selbst aneignen und scheiterte fast daran. Für Peker-Vogelsang ein Beispiel dafür, wie schwer das Medizinstudium für Eltern sein kann. Im Interview erklärt sie, was sich ändern muss.

Wie sieht dein Leben als Studentin mit Kindern aus?

Julia Peker-Vogelsang: Das ist schon anders als der übliche Uni-Alltag. Unter der Woche kann ich zu Hause nicht viel fürs Studium machen. Da bin ich für meine Kinder da und die fordern mich vollkommen. Lernzeiten vor Prüfungen muss ich gut planen und mit meinem Mann absprechen. Inzwischen ist vieles leichter, weil die Kinder in der Kita und in der Schule sind. Als mein Sohn ein Baby war, war es noch anstrengender. Vor Lehrveranstaltungen bin ich mit ihm spazieren gegangen, bis er geschlafen hat und habe mich dann im Seminar in die Nähe der Tür gesetzt. Wenn er anfing zu weinen, bin ich schnell rausgegangen.

 

Julia Peker-Vogelsang studiert Humanmedizin im 10. Semester im Modellstudiengang der Berliner Charité. Seit Februar 2018 leitet sie das Projekt „Freundilie – für Freunde und Familie“ der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (BVMD). Vor ihrer Zeit an der Charité hat Peker-Vogelsang eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und ein Studium in Gesundheitsmanagement abgeschlossen. Sie hat eine sechsjährige Tochter und einen vierjährigen Sohn.

Babygebrüll im Hörsaal findet bestimmt nicht jeder toll…

Manche Kommilitonen beschweren sich – wenn auch nicht direkt bei den Eltern, sondern eher bei den Dozenten. Es ist vorgekommen, dass wir in der Fachschaft von Professoren gehört haben, die ihre Hörerschaft abstimmen lassen, ob sie die Anwesenheit einer Frau mit Baby stören würde. Zwar sind das Ausnahmen, aber wir bewegen uns als Studierende immer in einer rechtlichen Grauzone: Im Mutterschutzgesetz ist zur Teilnahme an Lehrveranstaltungen mit Kind nichts formuliert.

Könnten Unis die Regeln für Lehrveranstaltungen selbst festlegen?

Ja, zum Beispiel mit einem Verhaltenskodex, an dem sich Eltern und Lehrende orientieren. Zu diesem Thema ist unsere Fachschafts-AG ProMediKids stetig in Kontakt mit dem Prodekanat für Lehre. Wir wünschen uns, dass Lehrende den Müttern und Vätern erst einmal gestatten, an Veranstaltungen teilzunehmen und nur bei einer Störung die Erlaubnis widerrufen. Studierende mit Kindern würden verpflichtet, sich genau zu überlegen, zu welchen Gelegenheiten es überhaupt sinnvoll ist, ein Kind mitzubringen.

Baby lauscht der Vorlesung: Unis können selbst festlegen, ob Kinder mitgebracht werden dürfen.
 

Du engagierst dich auch in der BVMD für familienfreundliches Studieren. Was fordert ihr?

Zum „Masterplan Medizinstudium 2020“ der Bundesregierung gehört auch eine veränderte Approbationsordnung. Wir diskutieren beim Medizinischen Fakultätentag mit und treten für bundesweit einheitliche Standards für studierende Eltern ein. Zum Beispiel profitieren studierende Eltern vom „fairen PJ“ genauso wie Studierende ohne Kind. Fehlende Vergütung und keinerlei Krankheitstage machen das PJ für studierende Eltern zurzeit zur Herausforderung. Insgesamt sind Studierende mit Kind in den Regelungen der Approbationsordnung unterrepräsentiert, ein genereller Nachteilsausgleich könnte Abhilfe schaffen.

Ist die Charité ein guter Ort für studierende Eltern?

Wir haben hier den Modellstudiengang Humanmedizin, der in einigen Punkten flexibler ist als viele Regelstudiengänge. Ein Teil des Kursangebots findet zwischen 8 und 16 Uhr statt, was in der Regel den Bring- und Abholzeiten der Kitas entspricht. Mütter und Väter haben ein Vorrecht, diese Kurse zu belegen. Außerdem können Eltern Prüfungen freier planen als in anderen Bundesländern. Bei uns stehen pro Jahr und Modul vier Termine zur Auswahl. Studierende an manchen anderen Fakultäten können davon nur träumen.
 

Campus-Eltern: Mitten im Leben

Studierende Eltern sind eine Minderheit, die es umso schwerer hat, gehört zu werden: Nach Auskunft des Deutschen Studentenwerks haben aktuell sechs Prozent aller Humanmedizin-Studierenden Kinder. Betrachtet man alle Studiengänge, sind die Mütter und Väter mit durchschnittlich 35 Jahren etwa elf Jahre älter als ihre kinderlosen Kommilitonen. Viele entscheiden sich erst nach einer Berufsausbildung für ein Studium oder haben Wartesemester hinter sich. Wenn sie an die Hochschule kommen, stehen sie dann schon mitten im Leben.

Was habt ihr als Eltern-Initiative erreicht?

Wir haben zum Beispiel einen makroskopischen Anatomiekurs für Schwangere und Stillende gefordert. Seit dem Sommersemester 2016 bietet die Charité einen Kurs an, in dem auf Formalin verzichtet wird. Stattdessen verwendet man Plastinate. Kinderbetreuung ist auch ein großes Thema. Selbst wenn ein Kind einen der begehrten Kita-Plätze erhalten hat, brauchen Eltern ab und zu eine Notfallbetreuung – zum Beispiel wenn die Kita geschlossen oder das Kind krank ist. Wir haben darauf hingewirkt, den existierenden Notdienst für Mitarbeiter der Charité auch den Studierenden anzubieten.

Engagieren sich auch Männer für die Sache?

Ehrlich gesagt kaum. Das liegt wohl an unseren Schwerpunkten. Vieles, was wir zur Zeit machen, hat mit dem Thema Mutterschutz in der Schwangerschaft und Stillzeit zu tun. Aber das ist sicher nicht der einzige Grund. Ich denke, dass viele studierende Väter tatsächlich nicht die gleichen Probleme haben, weil sich meistens doch die Frauen um die Kinderbetreuung kümmern. Darum ist Studieren mit Kind auch eher ein feministisches Thema. Die Väter, die sich für unsere Sache einsetzen, übernehmen alle Aufgaben rund um die Kinderbetreuung, gleichberechtigt und selbstverständlich, und fühlen die Notwendigkeit für Verbesserungen.