Gesundheit ist ein Menschenrecht. Aber nicht jeder in Deutschland kann sich darauf verlassen
Menschenrechtsprobleme gibt es in vielen Ländern – aber auch im deutschen Gesundheitswesen? Hier muss man schon genauer hinsehen. So wie Batule Jamall und ihre Kommilitonen von der AG Medizin und Menschenrechte in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd).
Wenn sich Batule Jamall auf den Weg zur Uni macht, denkt sie oft an ihre Mutter. Auch sie hat einmal studiert, damals in den 1990er-Jahren in Kabul. „Ihr Leben war ähnlich wie meines. Sie hat knielange Röcke getragen, ihre Haare nicht verhüllt. Und sie wollte eine gute Ausbildung“, erzählt Batule. Doch als die Taliban die Macht übernahmen, war es vorbei mit der Freiheit. Ihre Mutter floh und fand in Deutschland eine neue Heimat, heiratete einen Mann, der ebenfalls aus Afghanistan geflüchtet war, und gründete eine Familie. Zu Ende studieren konnte sie nicht.
„Mein Bewusstsein für Menschenrechte habe ich sicher auch dadurch erlangt, dass meine Eltern dieses Unrecht erlebt haben“, sagt Batule, die sich seit ihrer Jugend sozial engagiert. Unter anderem hilft sie Bewohnerinnen einer Frankfurter Flüchtlingsunterkunft im Alltag: Sie übersetzt, geht mit ihnen zu Ämtern, kümmert sich um Deutschkurse. Frisch eingeschrieben an der Universität Gießen wurde die Studentin in der Medizinfachschaft aktiv. Und seit Anfang 2019 ist sie eine von zwei Bundeskoordinatorinnen der bvmd-Arbeitsgruppe Medizin und Menschenrechte. In dieser Rolle hat sie gut zu tun, obwohl Menschenrechtsprobleme im deutschen Gesundheitswesen nicht so augenfällig sind. „Es gibt keine Probleme, von denen die Mehrheit betroffen ist, aber für bestimmte Gruppen ist die Situation schon schwierig“, erklärt die 20-Jährige.
Batule Jamall (20) wuchs in Bad Soden am Taunus auf. Als Schülerin hat sie sich für Naturwissenschaften begeistert, besonders für Biologie – daher auch ihr Interesse für die Medizin. „Dass ich Ärztin werden will, hat auch mit einem leichten Helferkomplex zu tun“, fügt sie selbstironisch hinzu. Heute studiert Batule Humanmedizin im dritten Semester an der Universität Gießen.
Keine staatliche Hilfe bei chronischen Krankheiten
So fordert die bvmd etwa, dass Geflüchtete nach den Standards der gesetzlichen Krankenversicherung versorgt werden, egal welchen Aufenthaltsstatus sie haben. Bislang erhalten diese Menschen kostenlose ärztliche Hilfe nur bei akuten Erkrankungen, Schmerzen oder Lebensgefahr; Therapien chronischer Leiden werden nicht übernommen. Eine andere Schwachstelle im deutschen Gesundheitswesen betrifft EU-Ausländer – auch deren Versorgung ist lückenhaft. Zu derartigen Fachfragen verfasst die bvmd Positionspapiere für die politische Arbeit. Die Bundeskoordinatorinnen trommeln dazu in der Regel kleine Teams zusammen, die sich Zeit für die langwierigen Recherchen, Diskussionen und Schreibphasen nehmen. „So ein Papier wird sehr oft hin- und hergeschickt und geändert. Es stecken Monate an Arbeit darin, bis die Mitgliederversammlung es verabschiedet“, sagt Batule.
Bei der bvmd sind sie und die zweite Bundeskoordinatorin Elena Scholmann allein für das Thema Menschenrechte verantwortlich – und damit auf die Mitarbeit lokaler studentischer Projekte angewiesen. Bundesweit haben sich in der bvmd sieben Lokalgruppen vernetzt, die sich mit Menschenrechtsfragen beschäftigen. Die Koordinatorinnen wollen den Austausch dieser Projekte weiter stärken, etwa indem sie Best Practices auf der Facebook-Seite der AG teilen und einmal jährlich ein großes Treffen mit Vorträgen und Workshops organisieren. Inhaltlich geht es dabei beispielsweise um Kindesmisshandlung oder um Genitalverstümmelung bei Frauen. „Als zukünftige Ärzte sollten wir uns mit solchen Themen befassen, um auf Betroffene sensibel eingehen zu können“, meint Batule.
Menschenrechtsthemen für Schulen aufbereiten
Das alles klingt nach viel Wissens- und Schreibtischarbeit – fehlt ihr nicht der Kontakt zu Menschen, das Gefühl, jemandem praktisch zu helfen? „Ich bin ja weiter in der Flüchtlingshilfe in Frankfurt aktiv. Mir hat bei dieser sozialen Arbeit aber tatsächlich etwas gefehlt“, so die Studentin. „Ich möchte die Dinge auch aus einem höheren Blickwinkel sehen und erfahren, was man auf höherer Ebene erreichen kann.“ Dazu blickt Batule auch über die Landesgrenzen hinaus. Als deutsche Repräsentantin reist sie zum Beispiel im August zur Generalversammlung der internationalen Organisation der Medizinstudierenden IFMSA in Taiwan und nimmt an Sitzungen des Menschenrechtskomitees SCORP teil. Dort möchte sie sich unter anderem mit Vertretern aus den Niederlanden austauschen, die Erfahrung mit Peer Education zu Menschenrechtsthemen an Schulen haben. Zusammen mit Elena will Batule ein solches Aufklärungsprogramm auch in Deutschland starten.
Die „UN“ der Medizinstudierenden
Unter dem Dach der International Federation of Medical Students' Associations (IFMSA) sind mehr als 1,2 Millionen Medizinstudierende in aller Welt organisiert. Die bvmd vertritt darin Deutschland. Verschiedene internationale Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Themen wie Public Health, Gesundheitspolitik oder Medizin und Menschenrechte. Die IFMSA arbeitet unter anderem mit der WHO und der World Medical Association zusammen. Ein Ziel die Organisation ist es, Studierende für gesundheitspolitisches Engagement in ihren Ländern fortzubilden.
Dass viel Arbeit auf sie zukommen würde, wusste die engagierte Studentin von Anfang an. „Man muss schon dafür brennen“, sagt sie. Es kommt vor, dass sie am Wochenende in sozialer Mission unterwegs ist, obwohl sie ein paar Tage später ein wichtiges Testat schreibt. „Bis jetzt ist es noch nicht schief gegangen, ich habe bis auf einmal alle Prüfungen bestanden.“ Batule hält sich an ihre eigene Prioritätenliste. Ihr Engagement, sagt sie, stehe an dritter Stelle, nach ihrem Studium. Am wichtigsten ist und bleibt für sie aber etwas anderes: ihre Familie, deren Geschichte auch sie geprägt hat.