Die ultimative Mediziner-Playlist
Hast du den Beat im Blut? Medizinern wird eine besondere Beziehung zur Musik nachgesagt. Viele sind entweder selbst musikalisch aktiv – oder setzen bestimmte Sounds gezielt bei der Behandlung ein. Zehn Fun Facts und Playlist-Vorschläge für alle, die was auf die Ohren brauchen.
Nützlich, wenn gerade kein Defibrillator zur Hand ist: Wer als Ersthelfer den richtigen Rhythmus für die Herzdruckmassage einhalten will, wählt in seiner imaginären Playlist am besten Titel wie den Bee Gees-Klassiker Stayin´Alive aus. Dancing Queen von Abba oder Madonnas Like a Prayer taugen ebenso als Wiederbelebungs-Soundtrack, sagt die Forschung. Jedenfalls sollten Songs mit 100 bis 120 Beats pro Minute (BPM) als Taktgeber dienen. Das ist die beste Druck-Frequenz, um den Blutfluss durch nicht mehr pumpende Herzen anzuregen. Du hast gerade nur Billie Eilish im Kopf? Egal: Besser eine sub-optimale kardiale Kompressionsrate als zu lange abwarten!
Kein Jazz, kein Hip Hop und auch nicht unbedingt Klassik: Laut einer Umfrage von spotify und figure1 läuft in über der Hälfte der OPs weltweit regelmäßig Musik. Neun von zehn befragten Chirurgen geben an, dass sie dafür extra eine eigene Playlist nutzen. Darauf stehen bei fast der Hälfte bevorzugt Rocksongs aus den 1960er bis 1990er Jahren. Cocaine von Eric Clapton etwa, Back in Black von AC/DC, We will rock you von Queen oder, etwas neuer, Sweet Child O´Mine von Guns´n´Roses. Spitzenreiter der Chirurgen-Charts ist Rock you like a hurricane. Mögliche Erklärung für die eher einseitige Auswahl: Noch ist die Mehrheit der Operateure männlich, viele davon waren im Teenie-Alter, als solche Songs die internationalen Hitlisten anführten. Und laut Musikforschung hört der Mensch und damit auch der Chirurg einfach am liebsten lebenslang das, was er schon zu Schulzeiten toll fand.
Bei aller Begeisterung für wummernde Bässe: Lauter als bis auf etwa 90 Dezibel sollte man Musik nicht aufdrehen, wenn Patienten unterm Messer liegen. Britische Forscher haben sogar wissenschaftlich belegt, dass sonst die Verständigung im Team leidet. Diskolautstärke führt nachweislich zu mehr Fehlern, im Schnitt müssen Operateure fünf Mal häufiger fragen, bis sie das richtige OP-Besteck bekommen. Statt wie oft üblich den Soundtrack am eigenen Geschmack auszurichten, sollten die Chefs den Wissenschaftlern zufolge eher demokratisch über die Hintergrundmusik entscheiden lassen. Gerade Assistenten und das Pflegepersonal, so das Studienergebnis, trauen sich sonst einfach nicht, Einspruch gegen donnernde Rockhymnen einzulegen.
In der Schmerztherapie, bei Depressionen, Parkinson, Demenz oder Tinnitus: Musik heilt zwar keine Erkrankungen, wird bei vielen Gebrechen aber mit ärztlichem Segen als Begleit-Therapeutikum eingesetzt. Fröhliche Stücke wie Happy von Pharell Williams verringern nachweislich die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut. Hören Patienten während einer Herzkatheter-Untersuchung, im Kernspintomographen oder auf dem Zahnarztstuhl Musik, haben sie weniger Angst, wie diverse Studien zeigen. Sogar die nötige Menge an Narkosemittel lässt sich laut Studien reduzieren, wenn Patienten vor oder während einer OP musikalisch sediert werden.
Der Ruhepuls als Maßstab: Werke mit 60 bis 80 Takten pro Minute sind als präanästhetische Angstlöser sogar wirksamer als Midazolam, wie Forscher aus Wales herausgefunden haben. Sogenannte tropotrophe Musik, zu der auch New Age-Sound oder Gregorianische Choräle gehören, wirkt besonders entspannend und beruhigend. Allerdings hilft es rein gar nichts, Menschen gegen ihren Willen damit zu malträtieren. Gegen Schmerzen zum Beispiel wirken vielen Studien zufolge am besten Stücke, die den Leidenden auch tatsächlich gefallen. Sie kurbeln die Produktion körpereigener Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin an, die Glückgefühle auslösen.
Everybody hurts von REM oder Scar Tissue von den Red Hot Chili Peppers, wenn Patienten in der Nähe sind? Das kann schief gehen, warnen sogar Wissenschaftler. Songtexte, die mit medizinischen Metaphern spielen oder gar vom Tod handeln, versetzen sensible Gemüter leicht in Aufruhr. Künstlich verzerrte, schrille Töne sind ebenfalls nichts für Untersuchungszimmer und OP. Laut kalifornischen Forschern ähneln solche Klänge Hilfeschreien im Tierreich – und lösen deshalb Angst und Trauergefühle aus. Der Soundtrack zur Duschszene in Alfred Hitchcocks Psycho eignet sich aber hervorragend, um Kollegen im Pausenraum zu erschrecken.
Überdurchschnittlich viele angehende Ärzte spielen selbst ein Instrument – in Bands oder sogar im Deutschen Medizinstudierenden-Sinfonieorchester. Gut so: Wer Musik macht, schafft neue Verbindungen im Hirn, verbessert seine Fähigkeit zur Selbstkontrolle und braucht im Alter sogar seltener ein Hörgerät als andere. Die Hormonausschüttungen währenddessen steigern außerdem das Wohlbefinden. Ähnliches gilt fürs Singen im Chor, das laut schwedischen Forschern einen Effekt wie Yoga hat. In Frankreich und Großbritannien es sogar speziell ausgebildete Musiker, die in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zusammen mit Patienten, Personal und Angehörigen Stücke einstudieren. Der internationale Verein Singende Krankenhäuser e.V. verfolgt vergleichbare Ziele, setzt dabei aber aufs Singen statt auf Instrumente.
Wer im Gym oder beim Joggen die richtige Musik hört, steigert seine Leistung laut britischen Untersuchungen um bis zu 15 Prozent. Plastische Chirurgen vernähen Wunden schneller und besser, wenn sie dabei den passenden Sound im Ohr haben. Statt auf langsame Stücke sollte man in diesem Fall aber besser auf so genannte ergotrope Musik vertrauen, also schnellen Sound in Dur mit hoher Taktzahl. Das wirkt anregend, weil sich beim Hören die Puls- und Atemfrequenz beschleunigt und mehr Blut durch den Körper gepumpt wird. Ob Radetzky-Marsch oder Rammstein der Optimierung dienlicher sind, bleibt aber dem persönlichen Geschmack überlassen.
Profi-Musiker entwickeln oft sehr spezielle Beschwerden: Robert Schumann zum Beispiel litt in den 1830er Jahren unter einer Bewegungsstörung der rechten Hand, weil er zu viel am Klavier geübt hatte. Den Wagner-Tenor Ludwig Schnorr von Carlsfeld soll gar die Titelpartie des „Tristan“ in den Tod durch Überlastung getrieben haben. Ärzte und Ärztinnen, denen solche Virtuosen besonders am Herzen liegen, können sich auf Musikermedizin spezialisieren. Infos zu diesem Fachgebiet finden sich zum Beispiel bei der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin. Einen Facharzttitel allerdings gibt es nicht dafür – und laut den Vertretern der Disziplin auch eher wenig zu verdienen: Weltstars ausgenommen, gehören die meisten Musiker eher nicht zur finanziellen Oberschicht.
Ja, es gibt sie. Menschen, die überhaupt nicht empfänglich sind für Musik. Laut Studien aus Spanien können solche „musikalischen Anhedonisten“ zwar durchaus erkennen, ob etwa eine Melodie eher traurig, fröhlich oder martialisch klingt. Nur löst das keinerlei Gefühle bei ihnen aus, ihr Belohnungssystem reagiert nicht auf diese speziellen akustischen Reize. Die gute Nachricht, falls du dich darin wiedererkennst: dir kann egal sein, ob in Operationssälen Volksmusik läuft oder ein Patient in Endlosschleife harten Punk hört. Und du sparst Geld für unnütze Streaming-Dienste, weil dir Stille vollkommen reicht.