Auf nach Afrika
Schon als Elfjährige träumte Charlotte Linke von Afrika. Inzwischen hat die Medizinstudentin aus Rostock an Krankenhäusern in Ghana und Ruanda hospitiert. Aber sie will noch mehr erreichen: 2016 hat sie ein Hilfsprojekt für eine Dorfschule in Ghana ins Leben gerufen.
Das Zimmer lag ein paar Schritte vom Haus ihrer ghanaischen Gasteltern, in einem Bungalow. Klein, ausgestattet nur mit einem Bett – was Charlotte aber nichts ausmachte. Schlimm fand sie nur die riesigen Kakerlaken, die bei Regen und Dunkelheit durch jede Ritze ins Zimmer krochen. Die Einheimischen lachten über die Deutsche, wenn sie vor den Schaben Reißaus nahm. Kakerlaken sind in Ghana so normal wie in Mitteleuropa Marienkäfer. Mit so einer tierischen Erfahrung hatte Charlotte nicht gerechnet, obwohl sie sich seit Kindertagen mit Afrika beschäftigt, reihenweise Romane und Sachbücher über den Kontinent verschlungen hat. „Ich wollte schon immer dahin, vor allem nach Westafrika, weil ich die Kulturen dort faszinierend finde“, sagt die junge Frau, die fast ebenso früh wusste, dass sie Ärztin werden wollte – auch um Entwicklungshilfe leisten zu können. Nach ihrem Abitur 2015 nahm sie sich die Zeit, um ihren Traum zu verwirklichen, und ging mit Hilfe des Netzwerks On the Move für ein Pflegepraktikum nach Ghana.
Ghana: Brain Drain einheimischer Ärzte
Lassa- und Denguefieber, Malaria und Bilharziose: Obwohl solche Infektionskrankheiten in Ghana nach wie vor präsent sind, hat sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten schon deutlich verbessert: Lag die Lebenserwartung 1970 noch bei knapp 50 Jahren, werden Ghanaer heute im Schnitt 67 Jahre alt. Die Geburtenrate ist im gleichen Zeitraum von sieben auf auf vier Kinder pro Frau gesunken, auch die Kinder- und Müttersterblichkeit sind stark zurückgegangen. Allerdings fehlt es außerhalb der großen Zentren Kumasi und Accra vielerorts an ausgebildeten Fachärzten. Die wenigen Mediziner, die im Land ausgebildet werden, wandern oft in wohlhabendere Staaten ab.
Quellen: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), WHO, World Fact Book der CIA, UNICEF
Patientinnen schlafen auf dem Boden
Charlottes Gastvater war nichtärztlicher Direktor einer Geburtsklinik am Ketu Municipal Hospital Aflao, nahe der Grenze zu Togo. Jeden Tag nahm er sie mit zur Arbeit. Auf der Geburtsstation begleitete die Deutsche die Gynäkologen und Pflegekräfte vor allem als Beobachterin. Krankenhäuser sind in Ghana nicht unbedingt der bevorzugte Ort, um Kinder zur Welt zu bringen. Dabei bietet die Klinik für die meisten Schwangeren aus der Umgebung die einzige Möglichkeit, einen Frauenarzt oder eine Hebamme zu konsultieren, zum Beispiel zur Geburtsvorbereitung. Ähnlich wie in Europa bleiben Mütter nach einer Entbindung meist ein paar Tage auf der Station, bekommen Tipps fürs Stillen und die Säuglingspflege. „Die Zimmer sind sehr klein und waren oft überfüllt. Einige Frauen mussten auf dem Boden schlafen“, berichtet Charlotte. Als bedrückend empfand sie die Geburtskomplikationen: „Das Equipment entspricht nicht dem westlichen Standard. Für schnelle Notkaiserschnitte fehlt einfach die Ausrüstung. Einige Babys sind deshalb während meiner Zeit dort gestorben.“
Wenig Platz, abgenutzte Möbel: Blick in die Geburtsstation des Ketu Municipal Hospital in Aflao.
Ausländische Ärzte bringen Augenlicht zurück
Neben der Geburtshilfe lernte die Hospitantin ein weiteres Fachgebiet kennen: Durch Zufall traf sie einen deutschen Augenarzt, der über die Christoffel Blindenmission in Ghana im Einsatz war. Zwei Wochen lang durfte sie ihm über die Schulter schauen – für Charlotte besonders interessant, weil sie sich später vielleicht auf Augenheilkunde spezialisieren möchte. An der Margret Marquardt Catholic Hospital Eye Clinic in Kpando haben es die Ärzte oft mit Krankheiten zu tun, die in Europa nur selten vorkommen. Zum Beispiel Augenentzündungen, die in dem feuchtheißen Klima sehr schwer verlaufen können. „Einigen Patienten kann man nur noch mit einer Hornhauttransplantation helfen, und dafür ist praktisch immer ausländische Unterstützung nötig“, berichtet Charlotte. Die medizinischen Entwicklungshelfer bringen Gewebespenden mit und vermitteln den Ärzten vor Ort die Operationstechniken.
Augenoperation im Margret Marquardt Catholic Hospital Eye Clinic in Kpando, Ghana.
Zurück in Rostock und inzwischen an der Uni, hielt die Studentin den Kontakt zu dem deutschen Augenarzt aufrecht. Zwei Jahre später reiste die Charlotte für ein freiwilliges Praktikum ins zentralafrikanische Ruanda, um ihn dort in der Augenklinik von Muhanga zu unterstützen. „Ruanda hat zwar ähnliche Probleme im Gesundheitswesen wie Ghana, aber die Infrastruktur und Ausstattung der Kliniken waren besser“, so die Medizinstudentin. „Allerdings waren die Menschen viel verschlossener. Man spürt noch die Folgen des Völkermords von 1994.“
Ruanda: Große Fortschritte
Der kleine Staat im Osten Zentralafrikas hat sein Gesundheitssystem nach dem Völkermord an den Tutsi in den 1990er Jahren komplett neu aufbauen müssen. Heute steht das am dichtesten besiedelte Land des Kontinents vergleichsweise gut da: Die durchschnittliche Lebenserwartung ist auf knapp 65 Jahre gestiegen, Mütter- und Kindersterblichkeit sind stark zurückgegangen.Ein Großteil der Ruander ist heute krankenversichert und hat Zugang zu örtlichen Gesundheitszentren. Im Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und HIV-Infektionen hat Ruanda große Fortschritte gemacht.
Bildung fördern – genauso wichtig wie medizinische Hilfe
Ihre Zeit in Ghana und Ruanda hat der Studentin vor allem eines gezeigt: „Man sammelt zwar viele Eindrücke und findet Motivation fürs Medizinstudium. Aber wirklich etwas bewegen kann man dort erst als Facharzt oder während der Weiterbildung.“ Charlotte wollte jedoch nicht so lange warten. 2016 gründete sie ein Hilfsprojekt zugunsten einer Schule in der ghanaischen Volta-Region, an der ihre frühere Gastmutter bis heute unterrichtet. Als Teil des Netzwerks Africa Action sammelt die Familie Linke seitdem Spenden, zum Beispiel gebrauchte Laptops, Bücher und Spielsachen. „Was hier oft im Abfall landet, macht in Ghana einen großen Unterschied“, sagt Charlotte. Zusätzlich hat die 21-jährige ein Patenschafts-Programm für talentierte Schüler und Studierende initiiert. Bis vor kurzem musste man in Ghana ab der 10. Klasse ein hohes Schulgeld bezahlen. Jeder der aktuell fünf Stipendiaten wird mit umgerechnet rund 1.000 Euro pro Jahr unterstützt, bis zur Hochschulreife. Die Gebühren für die Uni allerdings können sich ebenfalls nur wenige leisten, weshalb das Projekt inzwischen auch Paten für mittellose Studienanwärter sucht.
Später möchte Charlotte als Ärztin in Afrika helfen – bei Gelegenheit für je einige Monate, wie es verschiedene Organisationen ermöglichen. Um langfristig etwas zu verändern, müsse man aber nicht unbedingt vor Ort sein, so die engagierte Studentin: „Man kann auch Geld in die richtigen Hände geben, um Fachärzte in den Ländern auszubilden.“ Beispielsweise fördert Africa Action die augenärztliche Weiterbildung in Burkina Faso. Kompetenzen vor Ort aufzubauen, ist aus Charlottes Sicht die beste medizinische Entwicklungshilfe: „Ziel sollte sein, dass ein Land nicht mehr auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen ist.“