Nebenjob Organtransplantation
Jasper Iske arbeitet neben dem Medizinstudium als Perfusionist bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Wenn er Rufbereitschaft hat, steht seine Laptoptasche immer in Reichweite. Darin ist alles, was er für einen Einsatz braucht: Reisepass, Geld, eine Flasche Wasser und der Schlüssel zur Dienststelle der DSO in Hannover. Wenn Jasper gerufen wird, muss er innerhalb einer halben Stunde dort sein. So ist es auch in der Mittwochnacht, von der er hier berichtet.
2:40 Uhr – Bei Jasper Iske zu Hause
„Der Anruf des DSO-Telefonisten holt mich aus dem Schlaf: ‚Du hast einen Einsatz in Ungarn. Abfahrt an der Dienststelle ist in einer Stunde.‘ Alles klar. Ich lege auf, quäle mich aus dem Bett und ziehe mich an. Ein paar Minuten später holt mich ein Fahrzeug des Rettungsdienstes ab. Ich freue mich, dass es etwas zu tun gibt. Das ist nicht bei jedem Dienst der Fall. Bis zu sechs Tage im Monat halte ich mich bereit, rund um die Uhr. Normalerweise werde ich bei jedem zweiten oder dritten Dienst tatsächlich von der DSO gebraucht. Dann geht es mit dem Flieger mal eben nach Österreich, Slowenien oder wie heute nach Ungarn.“
3:09 Uhr – In der DSO-Dienststelle
„Hier erfahre ich mehr über die Reise. In Ungarn sollen die Chirurgen der Medizinischen Hochschule Hannover Herz und Lunge des Verstorbenen entnehmen. Das ist etwas Besonderes, denn bei den meisten Einsätzen geht es nur um eines der beiden Organe. Schnell packe ich alle Utensilien zusammen, die wir brauchen. Dazu gehören zum Beispiel die Transportbeutel für Herz und Lunge. Mein wichtigstes Arbeitsgerät ist das Perfusionssystem, durch das später die Spüllösungen für die Organe fließen werden. Zum Schluss fülle ich Eis in die Kühlboxen, in denen wir Herz und Lunge transportieren.“
4:02 Uhr – Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover
„Mit dem Auto geht es weiter zur Klinik. Am Haupteingang warten schon die beiden Chirurgen, die den Einsatz übernehmen. Sie springen schnell in den Wagen. Dann fahren wir zusammen zum Flughafen.“
4:26 Uhr – Am Flughafen Hannover
„Wir steigen in einen Privatjet. Bei einem Linienflug wären wir auf feste Flugzeiten und Verkehrsflughäfen angewiesen - für unseren Einsatz keine Option. Denn es gilt: Je länger der Transport dauert, desto länger bleibt das Organ ohne Durchblutung und somit Sauerstoffversorgung. Wir machen es uns bequem, ziehen die Schuhe aus und legen die Beine hoch. Wenn alles nach Plan läuft, landen wir in einer Stunde und 40 Minuten in Ungarn.“
6:29 Uhr – Im ungarischen Krankenhaus
„Der örtliche Rettungsdienst hat uns zur Klinik gebracht. Hier empfängt uns eine Ärztin und berichtet, wie weit die OP vorangeschritten ist. Andere Entnahme-Chirurgen sind schon an der Arbeit und bereiten den Körper des Spenders vor: Sie öffnen Bauchraum und Thorax. Für die Klinikmitarbeiter ist so eine Organentnahme nichts Alltägliches. Darum erklären wir dem OP-Personal, was zu beachten ist. Beispielsweise spielt bei der Operation am Herzen häufig dessen Schlagrhythmus verrückt – der Anästhesist sollte dann nicht eingreifen.“
Jasper Iske arbeitet seit etwa einem Jahr bei der DSO. Wer dort als Perfusionist tätig werden möchte, muss aktiv Humanmedizin studieren. Iske ist aktuell im siebten Semester an der Medizinischen Hochschule Hannover. Während seiner ersten zwei Monate bei der DSO wurde er intensiv an den Geräten geschult und begleitete einen erfahrenen Kollegen bei mehreren Einsätzen. Seit er diesen Job macht, liegt ihm das Thema Organspende noch mehr am Herzen als zuvor. Er appelliert an jeden, sich als Spender auszuweisen. In seinen Worten: „Nimm deine Organe nicht mit in den Himmel. Sie werden auf der Erde gebraucht.“
6:47 Uhr – Im OP
„Lunge und Herz sind die ersten Organe, die entnommen werden. Eine meiner Aufgaben ist es, die übermittelten Spenderdaten abzugleichen, die Blutgruppe und Blutgase des Verstorbenen zu bestimmen. Die Ergebnisse teile ich den Chirurgen mit. Sie sehen sich die Organe genau an und entscheiden, ob wir sie tatsächlich nehmen. Hin und wieder kommt es vor, dass sich zum Beispiel die Lunge nicht mehr richtig aufbläht. Aber bei diesem Spender sieht alles gut aus – es geht los. Während der Operation bin ich für die Perfusion verantwortlich: Ich sorge dafür, dass die Organe mit einer speziellen Lösung durchspült werden. Diese lähmt das Herz und schwemmt zum Beispiel Gefäßverschlüsse aus der Lunge. Das ist der technische Teil meiner Arbeit. Außerdem bin ich für Organisatorisches da. Wenn zum Beispiel sterile Materialien fehlen, bitte ich das Klinikpersonal darum.“
9:17 Uhr – Im OP
„Herz und Lunge sind entnommen. Ich verpacke die Organe und beschrifte sie mit der Spendernummer. Normalerweise kommen sie für den Transport in Kühlboxen. Seit kurzem verwenden wir beim Herzen ein neues Gerät aus den USA, das einen künstlichen Blutkreislauf erzeugt und so das Organ noch besser vor Zellschäden schützt.“
12:15 Uhr – Zurück an der MHH in Hannover
„Wir übergeben die Organe an die OP-Teams, die gleich vor Ort das Herz und die Lunge verpflanzen werden. Ich bringe die entnommenen Blut- und Gewebeproben ins Transplantationsbüro der Klinik.“
12:34 Uhr – In der DSO-Dienststelle
„Mein Dienst endet damit, dass ich die verbrauchten Materialien durch Nachschub aus dem Lager auffülle. Jetzt liegt wieder alles griffbereit für den nächsten Einsatz. Ich bin ziemlich erledigt, aber auch aufgekratzt. Es ist immer wieder aufregend, bei so einer OP dabei zu sein. Das Herz im offenen Thorax schlagen zu sehen, den Chirurgen zu assistieren – im Studium erlebt man das so nicht.“
Deutsche Stiftung Organtransplantation
Bei der DSO laufen die Fäden der Transplantationsmedizin in Deutschland zusammen. Die Stiftung betreibt sieben regionale Organisationszentren und weitere Standorte, wo insgesamt rund 200 Mitarbeiter tätig sind. Mehr als 800 Entnahmechirurgen stehen bei der DSO unter Vertrag. Dazu kommen über 200 Studenten, die Perfusions- und Telefondienste leisten.