Public Health: Wie Pandemie-Versteher arbeiten

Dr. Manuel Döhla
Feldforschung ist Teil des Jobs: Dr. Manuel Döhla bei einem SARS-CoV-2-Screening in Nordrhein-Westfalen. Foto: privat
  • Beruf & Karriere
  • 16.09.2020

Gerade erst den Master gemacht und schon mittendrin im Corona-Krisenmanagement: Public-Health-Absolvent Dr. Manuel Döhla hat Patienten in Quarantäne untersucht, er wirkt an Studien mit und entwickelt Hygienepläne für die Klinik. Kein Arbeitstag ist wie der andere. Genau diese Vielfalt macht für Manuel den Reiz von Public Health aus – nicht nur in Pandemiezeiten.

Im April erregte die sogenannte Heinsberg-Studie bundesweit Aufsehen, speziell mit Berechnungen zur Covid-19- Dunkelziffer. Doch schon Wochen zuvor war ein Team der Universität Bonn in dem von Corona stark betroffenen Landkreis unterwegs gewesen, als Verstärkung für das überlastete Gesundheitsamt. Spezialisten verschiedener Disziplinen besuchten rund 50 Quarantäne-Haushalte, nahmen Rachenabstriche und Umweltproben, interviewten die Bewohner und sammelten dabei wichtige Informationen. „Wir waren eine der ersten Forschergruppen, die das Symptom des Geruchs- und Geschmacksverlustes dokumentiert haben“, berichtet Manuel Döhla. Kürzlich ist ein wissenschaftliches Paper zu diesem Thema erschienen, an dem der junge Arzt beteiligt war. „Das ist schon etwas Besonderes, man hat ein Entdeckergefühl. Aber es geht weniger um wissenschaftliche Lorbeeren als um Erkenntnisse für eine bessere Diagnostik.“

Ist eine Studie gut genug, um Maßnahmen abzuleiten?

Während einer Pandemie kommt einem Teilgebiet von Public Health besondere Bedeutung zu: der Epidemiologie. Welche Bevölkerungsgruppen sind von der Krankheit besonders betroffen? Wie verbreitet sich das Virus, und welche Maßnahmen senken das Ansteckungsrisiko? Hier ist nicht nur medizinische, sondern auch sozialwissenschaftliche Kompetenz gefragt. In seinem Masterstudium an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat sich Manuel entsprechend weitergebildet, aufbauend auf seinem Medizinstudium. „Public Health ist in Düsseldorf sehr methodenorientiert“, sagt er. „Man perfektioniert das wissenschaftliche Arbeiten – von der Forschungsfrage über das Studiendesign bis zum Schreiben einer Publikation. Ich weiß jetzt, wie ich Studien lesen muss, wo Stärken und Schwächen liegen, und welche Interventionen man daraus ableiten kann.“
 

Foto: privat

Manuel Döhla (31) studierte Humanmedizin über die Bundeswehr an der Universität Erlangen-Nürnberg. Als Assistenzarzt arbeitete er zwei Jahre lang am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm in der Psychiatrie und in der Kardiologie. 2017 orientierte er sich neu, begann eine ärztliche Weiterbildung am Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit am Universitätsklinikum Bonn, kombiniert mit einem Masterstudium Public Health an der Universität Düsseldorf. Seit 1. April 2020 ist Manuel stellvertretender Krankenhaushygieniker am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz.


 

Schnell reagieren, wie bei einem Herzinfarkt

Seit Wochen ändert sich der Wissensstand zu SARS-CoV-2 täglich, und damit teilweise auch die Empfehlungen, wie sich die Seuche eindämmen lässt. So kam es etwa, dass die Landesregierungen im März nach anfänglichem Zögern doch entschieden, die Schulen zu schließen – unter anderem hatte eine Forschungsarbeit zur Spanischen Grippe das Umdenken bewirkt. Es sei normal, dass die Politik nachsteuere, betont Manuel. „Gerade am Anfang eines Ausbruchs müssen unter hohem Druck Entscheidungen getroffen werden. Wenn man zu lange wartet, kann man vieles nicht mehr einfangen. Das Ausbruchsmanagement ist in Public Health das, was der Herzinfarkt in der Kardiologie ist.“ Der 31-Jährige weiß, welchen Vergleich er da anstellt, denn er kennt beide Fachgebiete. Nach seiner Approbation 2014 arbeitete er unter anderem in der Kardiologie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Auf Dauer, gesteht er, konnte er sich eine Arbeit in der Inneren nicht vorstellen: „Dieser extrem getaktete, immer gleiche Tagesablauf liegt mir nicht. Dazu kommt die Frustration darüber, dass viele behandelte Patienten früher oder später mit ähnlichen oder sogar den gleichen Problemen wiederkommen.“

Der Assistenzarzt sah sich nach Alternativen um. Ihn interessierte, wie sich Krankheiten im größeren Stil bekämpfen lassen, insbesondere durch Prävention. Manuel entschied sich für ein nebenberufliches Masterstudium in Public Health, kombiniert mit einer Weiterbildung zum Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin. Er wechselte ans Universitätsklinikum Bonn an das Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit, wo er drei Jahre lang Erfahrungen sammelte. Anfang April 2020 ging es für den Mediziner und Soldaten auf Zeit zurück zu seinem eigentlichen Arbeitgeber, der Bundeswehr. Heute ist er stellvertretender Krankenhaushygieniker am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz. „In Bonn hatte ich mich zuletzt mit Covid-19-Diagnostik und Umgebungsuntersuchungen in Haushalten unter Quarantäne beschäftigt. Dann hieß es für mich über Nacht umschalten auf den Patienten- und Mitarbeiterschutz in der Klinik“, so Manuel.
 

Spezialisiert aufs große Ganze

Das Studienfach Public Health richtet sich in der Regel an Absolventen akademischer Disziplinen, die einen Bezug zum Thema Gesundheit haben. Einige Hochschulen nehmen nur Mediziner auf, andere sind offener, etwa auch für Biologen, Sozialwissenschaftler, Ökonomen oder Ingenieure. Mehr zu den Lehrangeboten findest du bei der Deutschen Gesellschaft für Public Health. Das interdisziplinäre Fach betrachtet die Gesundheit größerer Gruppen oder der gesamten Bevölkerung. Experten auf dem Gebiet sind unter anderem bei politischen Entscheidungen gefragt, beispielsweise wenn es um Schadstoffgrenzwerte geht, um Präventionsprogramme oder Kosten-Nutzen-Rechnungen für die staatliche Krankenversorgung. In der Medizin überschneiden und ergänzen sich Public Health und das Fachgebiet Hygiene und Umweltmedizin. Diese Spezialisten sind in Kliniken sehr gefragt. Auch Gesundheitsämter haben Bedarf, gelten aber als weniger attraktiv, weil das Gehalt für hochqualifizierte Mediziner dort deutlich geringer ausfällt.
 

Krasse Szenarien, alltäglicher Ekel

Der Neue musste sich unter anderem mit Fragen beschäftigen, die für Personal und Patienten mit Horrorszenarien verbunden sind: Ist es hygienisch vertretbar, Covid-19-Erkrankte notfalls auf dem Flur zu beatmen? Unter welchen Bedingungen können Angehörige sterbende Corona-Patienten besuchen? Welche Mitarbeiter bekommen Atemschutzmasken, wenn der Vorrat zur Neige geht? Das sind komplexe Überlegungen, bei denen technische, juristische, organisatorische und ethische Aspekte eine Rolle spielen. Empfehlungen basieren daher auf einem interdisziplinären Austausch. In Koblenz beraten neben den Hygienikern zum Beispiel auch Kliniker, Palliativmediziner, Psychologen, Medizinethiker und Militärtheologen die Klinikleitung. Die vergangenen Wochen empfand Manuel als aufreibend. Es sei aber positiver Stress gewesen, betont er: „Man macht jeden Tag etwas anderes. Genau so habe ich mir meine Arbeit vorgestellt.“ Eine große Bandbreite beweist der junge Mediziner auch als Autor. Unlängst erschien der Ratgeber „Hygiene mit Köpfchen“, den Manuel zusammen mit dem Amtsarzt Dr. Peter Lüke verfasst. Darin behandeln die beiden keine komplexen Klinikabläufe, sondern Alltägliches – etwa die Frage, warum eine Klobrille meist weniger keimbelastet ist als der Spüllappen in der Küche.

Für weitere acht Jahre ist Manuel noch bei der Bundeswehr verpflichtet, und so lange wird er voraussichtlich in der Krankenhaushygiene bleiben. Die nächste wichtige Etappe ist für ihn der Facharzt. Später kann er sich beruflich vieles vorstellen: „In der Krankenhaushygiene ist sicher der größte Bedarf. Aber vielleicht gehe ich auch zum Gesundheitsamt als Amtsarzt oder übernehme bei der Bundeswehr eine leitende Tätigkeit auf Kommandoebene. Auch in der Wirtschaft kann man im Infektionsschutz arbeiten, zum Beispiel in der umwelthygienischen Beratung. Es gibt sehr viele Möglichkeiten.“