Ein Hausarzt geht live

Dr. Rath (Mitte) und sein Team von der Hausarztpraxis im Hafenhaus
  • Beruf & Karriere
  • 10.04.2019

Telemedizin soll die Versorgung verbessern und niedergelassene Ärzte entlasten – vor allem auf dem Land. Der Travemünder Hausarzt Dr. Ulrich von Rath erprobt die Medizin auf Distanz in verschiedenen Formen. Er will damit auch die Allgemeinmedizin für junge Kollegen wieder attraktiver machen.

Blutdruck messen, die Lungenfunktion überprüfen, ein EKG erstellen: Nicht jeder Patient kann für solche Routine-Untersuchungen zum Arzt gehen. „Wir haben es mit immer mehr immobilen Menschen zu tun, was vor allem auf dem Land ein Problem ist“, sagt der Allgemeinmediziner Dr. Ulrich von Rath. Seine Hausarztpraxis im Hafenhaus in Travemünde bietet Patienten seit dem Frühjahr 2018 die Möglichkeit, sich zu Hause untersuchen zu lassen. Speziell geschulte nichtärztliche Praxisassistentinnen (NäPa) kommen mit mobilen Diagnosegeräten zu ihnen in die Wohnung.

Im Zweifel wird gechattet 

Im Quartal übernehmen die Mitarbeiterinnen etwa 50 Haus- und Pflegeheimbesuche. Karola Tiedemann ist eine von ihnen. Alles, was sie für die Einsätze braucht, steckt in ihrem Telemedizin-Rucksack. Die Assistentin kann damit Blutzucker, Sauerstoffsättigung, Herzfrequenz und andere wichtige Vitaldaten ermitteln. Über ein Tablet überträgt sie die Werte per Mobilfunk an das Praxis-System, das die Daten in die Patientenakte übernimmt. Braucht die Mitarbeiterin eine Einschätzung vom Arzt, schaltet sie ihn per Video-Chat dazu. Wenn sich zum Beispiel ein Dekubitus ungewöhnlich entwickelt, sieht sich der Mediziner dies über die Webcam an und entscheidet, welche Diagnostik und Therapie notwendig sind.
 

Kompetenzzentrum apoHealth

Wie verändern neue digitale Lösungen den Gesundheitsmarkt? Wer braucht was - und wie können vor allem Ärzte und Apotheker von innovativen Ideen profitieren? Die apoBank hat dazu ein eigenes Digital-Health-Kompetenzzentrum ins Leben gerufen: apoHealth bündelt die gesamte Expertise der apoBank zu Themen, Fragestellungen und Ideen rund um das Thema Digital Health. Hier entstehen gerade Services, die Heilberuflern mehr Orientierung und Unterstützung bei der Digitalisierung in ihrem Arbeitsalltag bieten sollen.

Weitere Informationen zu apoHealth

Viele Patienten in Deutschland können sich vorstellen, auf diese Art mit ihrem Arzt zu kommunizieren: Laut einer aktuellen Umfrage der apoBank sind 56 Prozent der Bevölkerung für Video-Sprechstunden offen. Von Rath nutzt diese Technik nicht nur bei Hausbesuchen. Er schließt sich online auch mit Augenärzten kurz. „Wenn wir hier einen unübersichtlichen Fall haben, kann ich innerhalb von ein paar Minuten einen der kooperierenden Fachärzte erreichen“, so von Rath. In einem Video-Telefonat betrachtet der Kollege die Augen über eine hochauflösende Kamera und berät den Patienten. „Wir hatten einmal einen Piloten, der an akuten Sehstörungen litt und sehr besorgt war. Der Augenarzt hat meinen Befund bestätigt, dass eine Erkältung die Ursache war. Der Patient ging beruhigt nach Hause. Diese Form der Beratung ergänzt die direkte und apparativ gestützte Facharztkonsultation, ersetzt sie allerdings nicht.“ 

Lübecker Studie untersucht tatsächlichen Nutzen

Prof. Dr. Jost Steinhäuser
Foto: Guido Kollmeier

Von Rath nahm die Telemedizin schon im März 2018 in das Praxis-Repertoire auf, noch bevor die schleswig-holsteinische Ärzteschaft ausschließliche Fernbehandlungen zugelassen hatte. Der Mediziner beteiligt sich damit an verschiedenen Studien des Center for Open Innovation in Connected Health der Universität Lübeck. Den Rucksack und die Anlage für die Liaison-Sprechstunde bekommt er gestellt. „Wir gehen an das Thema Telemedizin mit dem Blick von Implementierungswissenschaftlern heran“, sagt der Studienleiter Prof. Dr. Jost Steinhäuser. „Insbesondere Technologien, die die primärärztliche Versorgung verbessern können, für die ein Versorgungsbedarf existiert und die möglichst vielen Patienten zugutekommt, sind dabei für uns von Interesse.“

 

Bessere Chancen bei der Nachfolger-Suche

Die Travemünder Hausarztpraxis macht bislang gute Erfahrungen mit der Beratung auf Distanz. Von Rath ist ein überzeugter Vorreiter –  auch aus einer gewissen Not heraus: „Die Arbeit als Allgemeinarzt ist motivierend, schön und sinnvoll. Aber wir haben immer wieder lange Arbeitstage von zwölf Stunden oder mehr und lange Wartezeiten für Patienten. Die Lage wird sich in den nächsten Jahren verschlechtern, wenn viele ältere Kollegen keine Nachfolger finden.“ Praxen, die neue digitale Lösungen anwenden, haben aus seiner Sicht bessere Chancen, neue Inhaber zu finden: „Junge Kollegen wollen die Technik, die sie privat nutzen, auch im Beruf anwenden. Ich will eine Primärversorgung aufbauen, an der auch junge Ärzte Freude haben.“

 

Weiterbildungsassistent Christopher Kaczmarek will als Hausarzt später selbst telemedizinsich arbeiten

Weiterbildungsassistent Christopher Kaczmarek will als Hausarzt später selbst telemedizinsich arbeiten; Foto: Hausarztpraxis im Hafenhaus
 

Christopher Kaczmarek hat sich bereits überzeugen lassen. Nach drei Jahren in einer Klinik arbeitet er seit Dezember 2018 als Arzt in Weiterbildung im Hafenhaus. Später möchte er sich als Hausarzt niederlassen und wie sein heutiger Chef telemedizinische Leistungen anbieten. „Das spielt eine wichtige Rolle, um die alternde Gesellschaft adäquat versorgen zu können, speziell auf dem Land“, meint der 34-jährige Mediziner. Bevor er in der Travemünder Praxis anfing, hatte er lediglich bei einem Studentenjob mit Telemedizin zu tun: „In der Notaufnahme eines kleineren Krankenhauses konnte ein Neurologe konsiliarisch hinzugezogen werden.“ Kaczmarek weiß es zu schätzen, dass er in der Hausarztpraxis sein Digital-Knowhow vertiefen kann.
 

Die Technik ist da – das Geld nicht

Gern würde von Rath nicht nur an den Lübecker Telemedizin-Studien teilnehmen, sondern selbst technisch aufrüsten, etwa mit einem Kamerasystem für Augenhintergrund-Untersuchungen, die zum Beispiel bei Diabetes wichtig sind. „Für viele sinnvolle Leistungen ist die Technik da. Aber es gibt keine vernünftige Finanzierung“, moniert von Rath. Selbst die Kosten für Basisgeräte und die entsprechende Software würden zurzeit nicht erstattet. Um telemedizinische Hausbesuche in größerem Umfang anbieten zu können, seien außerdem zusätzliche Mitarbeiter, Räume und Fahrzeuge nötig. „Das rechnet sich für normale Praxen nicht. Ich betreibe Telemedizin bislang aus reinem Idealismus.“