Tipps fürs Selbststudium in der Coronazeit
Sich zurückziehen und stundenlang lernen – für Heilberufs-Studierende nichts Neues. Unter Pandemie-Bedingungen kann es trotzdem schwerfallen, sich zu motivieren. Die Isolation macht nicht nur Erstsemestern zu schaffen. Was du gegen Lernfrust und Aufschieberitis tun kannst.
Seit Frühjahr 2020 läuft das Campusleben auf Sparflamme. Die zweite Covid-19-Welle ist dramatisch und lässt erwarten, dass Studierende auch in den kommenden Monaten viel zu Hause lernen werden. Über das Homeoffice werden die immer gleichen Witze gemacht, Stichworte: Jogginghose, Netflix, Konsole. Doch in der Realität ist es nicht gerade spaßig, ohne strukturierten Tagesablauf und ohne den Austausch mit anderen sein Soll zu erfüllen.
Melina Lorke und Benjamin Lippmann kennen das aus eigener Erfahrung. Beide studieren Medizin im siebten Fachsemester am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE). „Es fehlt die soziale Kontrolle durch die Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen“, sagt Benjamin. „Man braucht schon mehr Selbstdisziplin.“ Sich nicht aufzuraffen, ist das eine, aber Melina sieht noch ein weiteres Problem: „Zu Hause fällt es schwerer, den Cut zu finden. Wir haben inzwischen alle Lehrveranstaltungen als Dateien zur Verfügung. Da weiß man manchmal nicht, wo man aufhören soll.“
Hohe Disziplin, aber auch Überforderung
Viele Studierende, die lernintensive Fächer wie Medizin oder Pharmazie gewählt haben, kommen im stillen Kämmerlein vergleichsweise gut klar. „Sie haben oft eine recht hohe Disziplin. Ihre Fähigkeit, allein zu lernen, ist ausgeprägter als in anderen Fächern“, erklärt Wilfried Schumann, Leiter des Psychologischen Beratungs-Services von Universität und Studentenwerk Oldenburg. „Wenn man jedoch Lehrveranstaltungen nur digital konsumiert, stellt sich eine gewisse Eintönigkeit ein. Man hat weniger Möglichkeiten, sich selbst einzubringen. Es fällt schwerer, aufmerksam und konzentriert zu bleiben. Daraus können sich Arbeitsstörungen entwickeln.“
Am UKE gibt es seit einem Jahr eine Plattform für Medizinstudierende, die Lernschwierigkeiten haben oder sich auf andere Art psychisch belastet fühlen: den Verein „Druckausgleich“. Benjamin und Melina sind seit den Anfängen als Freiwillige dabei. Pandemiebedingt fanden bislang nur wenige Treffen statt. Der Verein bietet aber regelmäßig Online-Konferenzen an, in denen sich Kommilitonen anonym über ihre Probleme austauschen können. Ein Thema taucht laut Melina immer wieder auf: „Wie vereinbare ich das Ideal vom angehenden Halbgott in Weiß damit, wenn ich mich dem Studium manchmal nicht gewachsen fühle?“
Ein Bild aus entspannteren Zeiten: Benjamin Lippmann (hinten links),
Melina Lorke (hinten rechts) und Mitstreiter vom Projekt „Druckausgleich“
Foto: SturaMed e.V.
Simulierter Spaziergang zur Uni
Das Schweigen über solche Probleme zu brechen, sei oft schon eine Erleichterung, meint Benjamin. Im Gespräch zeige sich nämlich schnell, dass man damit nicht allein ist. „Fast jeder von uns hat sich schon einmal überfordert gefühlt. Vor allem zu Beginn des Studiums.“ In den vergangenen Monaten haben sich unter anderem viele Erstsemester an den Verein gewandt. Ihnen und anderen Kommilitonen hilft nicht nur Zuspruch, sie erhalten auch Tipps für das Studium auf Distanz: Wie schreibe ich einen Lernplan? Wie viele Online-Veranstaltungen bearbeite ich pro Tag? Mehr als zwei oder drei Unterrichtseinheiten täglich sind in der Regel nicht sinnvoll.
Mindestens ebenso wichtig wie eine vernünftige Planung sei es, in den Arbeitsmodus zu kommen und dabei zu bleiben, so der Uni-Psychologe Wilfried Schumann. „Im Homeoffice gibt es viele mögliche Ablenkungen. Am besten ist es, sich an feste Lernzeiten zu halten und währenddessen alles auszublenden, was stört.“ Im Schlafanzug frühstücken und erst einmal eine Folge der neuen Lieblingsserie schauen? Lieber nicht, rät Schumann. „Wenn Sie den Tag mit einer belohnenden Tätigkeit beginnen, stellen Sie sich eine Hürde in den Weg. Aus einer angenehmen Tätigkeit zur Arbeit zu wechseln ist frustrierend und schwierig.“ Scheinbar nebensächliche Dinge wie Kleidung können ebenfalls helfen, in die Spur zu kommen. „Ziehen Sie sich so an, als würden Sie zur Uni gehen. Das ist eine wichtige symbolische Handlung“, sagt Schumann. „Wenn Sie trotzdem Probleme haben, sich morgens an die Arbeit zu setzen, probieren Sie etwas Neues aus: Treiben Sie zu Hause ein bisschen Sport oder gehen Sie für eine Viertelstunde um den Block, als würden Sie sich auf den Weg zur Vorlesung machen.“
„Die veränderte Lebens- und Studiensituation durch Corona hat Konsequenzen hat für das psychische Wohlbefinden vieler Studierender", stellt der Uni-Psychologe Wilfried Schumann fest.
Foto: Universität Oldenburg
Standleitung mit Kommilitonen
Trotz solcher Rituale fehlt zu Hause die Gruppendynamik, die sich auf dem Campus von allein einstellt. In der Bibliothek etwa sieht man andere lernen und wird selbst gesehen – so konzentriert man sich eher aufs Arbeiten. Melina und Benjamin empfehlen, sich trotz Pandemie einer Lerngruppe anzuschließen. „Man kann sich auch mal im kleinen Kreis treffen, wenn man sich verantwortungsvoll verhält. Ab dem Frühjahr ist das draußen natürlich einfacher“, sagt Melina. „Aber auch Lerngruppen über Zoom sind besser als nichts.“ Eine Art virtuelle Bib schlägt Wilfried Schumann vor: „Für viele ist es günstig, eine Dauerkonferenz mit der Lerngruppe zu führen, und sei es nur, dass man die anderen auf dem Bildschirm mitlaufen lässt.“ Sogar die nötigen Pausen lassen sich verabreden und so besser einhalten. Störquellen wie das Smartphone sollten während der Lernphasen ausgeschaltet sein oder komplett außer Reichweite liegen. Idealerweise bleibt auch der Computer offline. Wer das nicht schafft, kann zumindest alle nervigen Benachrichtigungen stummschalten.
Über „Druckausgleich“
Das Projekt am Hamburger UKE ist eine Anlaufstelle für Medizinstudierende, die sich seelisch belastet fühlen. Aktuell gehören neun Aktive zum Kernteam. Als sich die Gruppe Anfang 2020 gründete, waren regelmäßige Veranstaltungen zu psychologischen Fragen geplant. In abgewandelter Form finden diese nun online statt. Per Webkonferenz können sich Kommilitonen anonym über Probleme austauschen. Die Themen reichen von Lernschwierigkeiten über Prüfungsangst bis hin zu Panikattacken oder Anzeichen seelischer Erkrankungen. Liegt ein ernstes Problem vor, verweisen die Freiwilligen weiter an die Psychologische Beratung der Universität Hamburg.
Raus aus der Medizin-Bubble
Es bleibt ein Studium im Krisenmodus, der an der seelischen Substanz zehren kann. Stress macht sich unterschiedlich bemerkbar. Benjamin berichtet von eigenen Durchhängern so: „Ich war sarkastisch und zynisch, habe mich zurückgezogen. Irgendwann habe ich mich gefragt: Warum mache ich das? Und es stellte sich heraus, ich war einfach überfordert. Das ist aber nicht schlimm, gehört zum Studieren dazu.“ Sich einen Ausgleich zum Lernen zu schaffen, hält der 30-Jährige für ein gutes Gegenmittel. Sei es Sport, ein Hobby oder „Freunde aus anderen Kreisen zu treffen“. Für ihn sei es wohltuend, auch einmal nicht unter Medizinern zu sein. Gewohnheiten zu durchbrechen und etwas zu unternehmen, um den Kopf frei zu bekommen, ist auch der Rat des Psychologen: „Wenn man viel zu Hause ist, fehlen Tageslicht und Bewegung. Verabredungen zum Sport sind daher ideal. Wer nicht gern laufen geht, kann sich zum Beispiel zusammen mit Freunden zu einem Onlinekurs anmelden. Damit verpflichtet man sich und setzt den guten Vorsatz eher um.“