Das Studenten-Magazin der apoBank

Veterinäre setzen sich für das Wohl von Haus- und Nutztieren ein

  • Beruf & Karriere
  • 11.10.2019

Qualzuchten, enge Ställe, Küken im Schredder: Im Berufsalltag erleben Veterinäre so manches, was Tierschützer auf die Barrikaden bringt. Doch solange die Halter keine Gesetze verletzen, können die Mediziner allenfalls kurativ helfen. Viele Veterinäre setzen sich darum ehrenamtlich für das Wohl von Haus- und Nutztieren ein. So wie Sonja Krämer von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT).


Frau Krämer, Veterinäre wollen Tieren helfen und deren Leid mindern. Allerdings kann der Arbeitsalltag in der Klinik oder Praxis desillusionierend sein. Wie viel Platz hat Tierliebe in der Veterinärmedizin?

Sonja Krämer: Viele, die dieses Fach studieren, tun das primär aus Tierliebe. Und gerade im Tierschutz ist es auch wichtig, Fachwissen zu haben. Tierliebe ohne Fachwissen bewirkt wenig oder kann sogar Schaden anrichten. Das sieht man als Tierarzt zum Beispiel dann, wenn Leute sehr kranke Hunde aus südlichen Ländern holen und damit ansteckende Krankheiten importieren. Oder wenn Tierhalter ihre Lieblinge überfüttern, so dass diese Probleme mit den Gelenken bekommen. Hier muss man als Veterinär entsprechend auf die Tierhalter einwirken. Für effektiven Tierschutz muss man sich teilweise von romantischen Vorstellungen lösen. So gibt es Projekte, bei denen Kühe und Pferde in der Landschaftspflege eingesetzt werden. Die Grundidee war, dass die Tiere ganz frei und ohne menschliche Eingriffe leben. Allerdings ist so ein „natürliches“ Leben gar nicht mehr möglich, dazu ist die Landschaft zu stark besiedelt – manchmal werden etwa Wasser und Futter knapp. Deshalb benötigen auch solche Projekte eine tierärztliche Betreuung. Als Verband haben wir ein Merkblatt veröffentlicht, was bei solchen Projekten zu beachten ist, damit die Tiere nicht leiden.

Wenn es darum geht, Tierleid zu vermeiden, denken viele zuerst an die Rolle von Veterinären in der Viehhaltung …

Amtstierärzte kümmern sich ebenfalls um Tierschutz, sei es bei den Kontrollen von Tierhaltungen oder an Schlachthöfen. Tierärzte, die sich um Nutztiere kümmern, können allein durch ihre Beratung bei den Tierhaltern durchaus einiges tun. Tatsächlich sind wir Veterinäre aber vielfach nicht einverstanden mit dem, was wir in den Ställen sehen. Deshalb engagieren wir uns ja beispielsweise in der TVT, um auf die Öffentlichkeit oder den Gesetzgeber einzuwirken, bestimmte tierschutzwidrige Zustände abzustellen.
 

Foto: Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz

Sonja Krämer (49) ist ehrenamtliche Sprecherin der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. Sie studierte erst Publizistik in Mainz und arbeitete einige Jahre in der Marketing- und PR-Branche. Mit knapp 40 Jahren verwirklichte sie ihren Traum: mit einem Zweitstudium der Tiermedizin. 2016 machte Sonja Krämer ihren Abschluss an der Universität Gießen. Die Veterinärin ist heute freiberuflich im Mobilen Tiernotdienst 24 im Raum Frankfurt am Main im Einsatz und schreibt nebenbei ihre Doktorarbeit.
 

Was würden Sie zum Beispiel ändern, wenn Sie entscheiden könnten?

Ein ganz aktuelles Thema ist die Kastration von Ferkeln. Sie soll verhindern, dass das Fleisch später unangenehm riecht, was bei etwa zehn Prozent der Eber der Fall wäre. Bis vor kurzem durften Landwirte die Tiere ohne Betäubung kastrieren. Das ist bald nicht mehr zulässig. Vorgesehen ist jetzt, dass die Landwirte selbst die Tiere mit Isofluran betäuben, dann kastrieren, und das ganze ohne Voruntersuchung oder jegliches Wissen über Narkosezwischenfälle. Das sehen wir als Verband sehr kritisch. Wir plädieren für eine schonende Alternative, die Immunokastration, also eine Impfung, die den Ebergeruch völlig ohne Amputation unterdrückt.

Sie fordern unter anderem auch ein verpflichtendes Tierwohl-Siegel für Fleisch. Geplant ist jedoch ein freiwilliges Label. Was würde die Verpflichtung bringen?

Die Idee ist, dass sich alle Erzeuger einer intensiveren Qualitätssicherung unterziehen. Bei einem freiwilligen Label werden nur die Landwirte mitmachen, die sowieso schon eine gute Tierhaltung haben, bei den anderen ändert sich nichts. Der Staat wüsste dann einfach genauer, wo es Defizite gibt und welche Landwirte Hilfe brauchen. Es sind eben nicht immer die Großbetriebe, wo die Tiere am meisten leiden. Das Schlimmste, was ich in meiner Ausbildung gesehen habe, war ein kleiner Familienbetrieb, dessen Inhaber alt und überfordert waren. Solche Betriebe müssten mehr Aufmerksamkeit und Hilfe bekommen. Zusätzlich plädieren wir für einen Grundpreis für Fleisch, ähnlich wie das bei der Buchpreisbindung gehandhabt wird. Die Mehreinnahmen müssten in die Tierhaltungen und den Tierschutz fließen.

Sie selbst arbeiten nicht mit Nutztieren, sondern in einer Kleintierklinik. Welche Probleme erleben Sie dort?

Vor allem Qualzuchten. Hier sind besonders die brachycephalen Hunde zu nennen, bei denen die Nase stark verkürzt ist, wie zum Beispiel bei Möpsen und französische Bulldoggen. Diese sind oft so überzüchtet, dass sie kaum atmen können und andere gesundheitliche Probleme haben. Es gibt aber auch andere hochgradig überzüchtete Kleintiere, das reicht vom Kaninchen bis hin zum Goldfisch. Als Verband setzen wir uns dafür ein, die Probleme aufzuzeigen und die Bevölkerung zu sensibilisieren.
 

Nicht für „Schönheit“ leiden

Viele Hunderassen, die aktuell in Mode sind, haben zu kurze Schnauzen. Sie ringen nach Luft, leiden öfter unter Mandelentzündungen und können sich bei Hitze nicht richtig herunterkühlen. Über solche Qualzuchten setzen sich Tierschützer mit Zuchtverbänden auseinander und betreiben Aufklärung. Über die Jahrzehnte wurden schon manche  „Schönheitskriterien“ abgeschafft, nicht immer freiwillig, sondern auch durch den Gesetzgeber. Zum Beispiel durften Züchter ihren Hunden früher Schwanz und Ohren kupieren – seit 2001 ist jede Form der Amputation verboten. Viele Züchter erkennen die Probleme auch selbst an. Beispielsweise gibt es seit einiger Zeit den Trend zum Retromops, der eine etwas größere Nase hat.
 

Haben Sie den Eindruck, dass sich heutige Studierende und junge Veterinäre mehr für Tierschutz interessieren als die älteren Kollegen?

Ich denke, dass die Gesellschaft insgesamt sensibler geworden ist und sich mehr für das Thema interessiert – das gilt natürlich dann auch für Tierärzte. Früher haben sich Tierärzte eher um Großtiere gekümmert, es war einmal ein ziemlicher Männerberuf. Heute gehen vor allem Frauen in die Tiermedizin, viele spezialisieren sich auf Pferde und Kleintiere, also auf Tiere, zu denen die Halter eine engere Beziehung haben.

Können Studierende in ihrer Ausbildung etwas für den Tierschutz tun?

Leider ist das Veterinärmedizinstudium sehr zeit- und arbeitsintensiv. Tierethik, Tierschutz oder der seit 2016 existierende Ethik-Kodex der Tierärzte werden aber auch an den Universitäten gelehrt. Darüber hinaus engagieren sich einige Studierende bei uns oder in Tierschutz-Arbeitsgruppen. In Leipzig behandeln Studierende die Hunde von Obdachlosen kostenlos, in anderen Städten beteiligen sie sich am Austausch von Taubeneiern gegen Eier aus Gips, um die Anzahl von Tauben zu minimieren. Es würden sich sicherlich noch mehr Studierende in dem Bereich engagieren, wenn das Studium mehr Freiheiten ließe.
 

Fachwissen vor Gericht

Überparteilich und „feindbildfrei“ will die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz etwas bewegen. Der Verband besteht seit 1985 und hat aktuell rund 1.300 ehrenamtlich tätige Mitglieder. Auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse entwickeln die Veterinäre Merkblätter, Stellungnahmen und Leitlinien, die nicht nur für Tierhalter und Amtstierärzte relevant sind, sondern auch für Juristen: Gerichte erkennen TVT-Merkblätter als Sachverständigengutachten an.
 

Top