Worst of Weihnachten
Schon richtig Lust auf Weihnachten im Kreise der Familie? So schön es ist, die Verwandtschaft wiederzusehen – hohe Erwartungen, schwerer Wein und inkompatible Charaktere sorgen gerne mal für Zoff unterm Tannenbaum. Wer Medizin oder Pharmazie studiert, hat noch dazu (manchmal) ein paar Extra-Challenges zu bewältigen.
„Du studierst doch Medizin, du musst doch wissen…“ Eine Einleitung, die Böses erahnen lässt. Stundenlang darfst du dir Tante Susannes Odyssee durch die Wartezimmer der Republik anhören, im schlimmsten Fall ist dein fachmännischer Blick auf Tanten-Warzen oder schlecht heilende Ekzeme gefragt. Die Steigerungsform: Wenn du deinen beleidigten Möchtegern-Patienten erklären musst, dass du (a) nach dem ersten Semester noch kein fertiger Dermatologe bist oder (b) doch eigentlich Tiermedizin studierst.
Ähnlich nervend und manchmal noch schwerer auszukontern: Der Schlagabtausch über die deutsche Gesundheitspolitik/die Impfthematik/die Homöopathie, zu dem du als angehender Heilberufler jetzt doch bitte deinen Senf dazugeben sollst. Der Pflegenotstand! Der Herdenschutz! Fortgeschrittene debattieren bis nachts über die eine, alles Übel beseitigende Patentlösung, auf Facebook oder in dubiosen Foren angelesenes Halbwissen ist dabei die schärfste Waffe.
Ja, dein Abi war besser als ihres. Weil du halt auch ein bisschen mehr gelernt hast. Und ja, du studierst jetzt ein Fach mit guten Berufsaussichten statt Philosophie. Was deine Geschwister leider dazu veranlasst, dich als Familien-Streber zu mobben: „Die Frau Doktor ist sich wohl zu fein für unseren Kneipenbesuch?“ kommt dann zum Beispiel. Oder: „Na, gestern wieder brav am Schreibtisch gesessen? Wir haben dafür halt noch ein bisschen Spaß im Leben.“
Eng verwandt mit dem Eifersüchtige-Geschwister-Problem: Deine Verwandtschaft findet es ungeheuer witzig, dich mit längst durchgenudelten Klischees zu langweilen. Du studierst Zahnmedizin? Ist ja klar, dass du am liebsten Geldgeschenke entgegen nimmst. Und logisch, dein Leben besteht nur aus Auswendig-Lernen von Lexika. Du bist genau der Richtige, um die Gans fachmännisch auseinanderzunehmen – hast Du ja jetzt drauf dank deines Anatomie-Wissens, oder?
Ok, du hättest nicht reinschauen sollen ins Badezimmer deiner Eltern. Selbst schuld, dass du dort seltsame Haarwuchs-Tinkturen und ein Blutdruckmittel gefunden hast, dass deines Wissens gar nicht mehr verschrieben werden darf. Den Feiertags-Frieden stören durch zarte Hinweise auf den aktuellen Stand der Forschung oder gar Kritik am Hausarzt, zu dem Mama schon seit Jahrzehnten geht? Ein fieses Dilemma. Besser nächstes Mal doch wieder ins Gästebad.
Kannst du den Mund nicht halten und kommentierst die Medikamentenwahl/das Ernährungsverhalten/die Therapiestrategien deiner Lieben doch, droht bisweilen Empörung: Warum du als absoluter Frischling dir dazu eine Meinung erlaubst? Besteht deine Familie aus Heilberuflern, ist ein Fight zwischen Alt und Jung besonders aufreibend. Onkel Martin hält Telemedizin nun mal für den Untergang, zu Opas Zeiten hatten Assistenzärzte dem Chef noch die Tasche zu tragen. Vielleicht nimmst du besser noch einen Schluck von Papas gutem Roten.
Graduell angenehmer als der Frischlings-Vorwurf, aber doch auch lästig: Du bist der erste angehende Pharmazeut oder Mediziner der Familie, vielleicht sogar der erste, der überhaupt studiert. Deine Oma hält dich deshalb bereits seit dem Zulassungsbescheid für eine Art überirdischen Heilsbringer, deine schüchterne Cousine bekommt den Mund dir gegenüber vor Ehrfurcht überhaupt nicht mehr auf. Es wird also Zeit, mit ungebührlichem Benehmen zu beweisen, dass du nach wie vor ein normalmenschliches Wesen bist.
Logische Folge aus Punkt 7: Nutzt du den Besuch zuhause erst einmal für ein ausgiebiges Gelage mit alten Schulfreunden, gefolgt von einem üblen Kater, ist die Empörung groß: Gerade du als angehender Mediziner müsstest doch wissen, wie schädlich Alkohol ist! Natürlich ist es deshalb auch keine Option, den guten Rosenkohl zu verschmähen und stattdessen Pommes zu fordern. Als Heilberufler in spe hast du ein Gesundheits-Vorbild zu sein, sonst ist die Ehrfurcht schnell beim Teufel.
Das Studienende naht, aber eigentlich machen sie das schon seit dem ersten Semester. Dein Eltern wollen unbedingt, dass du in ein paar Jahren Papas Praxis beziehungsweise Mamas Apotheke übernimmst. Dass du keine Lust aufs Dorfleben oder Stammpatienten-Kommentare à la „Du bist aber groß geworden“ hast, wird ausdauernd überhört. Wenn beim Käsefondue darüber debattiert wird, dass du später auf keinen Fall Mamas Bilder im Wartezimmer abhängen darfst, helfen meditative Atemübungen oder, genau, noch ein Schluck von Papas Rotem.
Verwandtschaft kann nerven. Und Bedürfnisse von x-Generationen an Weihnachten unter einen Hut zu bringen gleicht einer Quadratur des Kreises. Aber es geht immer noch schlimmer: Feiertage als Lern-Marathon, du allein am Schreibtisch, eingeklemmt zwischen Skripten und langsam vergammelnden Pizzaresten. Während andere ihre Geschenke auspacken, bekommst du den Blues und akute Panik, ob die Zeit bis zur nächsten Prüfung noch reicht. Dann doch lieber die Extra-Challenge Familienfest!