Zahnmedizin-Famulatur auf den Seychellen

Ausblick von Mahé, der Hauptinsel der Seychellen. Foto: privat
  • Studium & Lernen
  • 16.09.2020

Die Seychellen sind ein Urlaubsparadies. Hannah Denis und Laura Stemme aus Hannover haben die ostafrikanischen Inseln noch von einer anderen Seite kennengelernt. Die Zahnmedizin-Studentinnen absolvierten dort eine fünfwöchige Famulatur. Ohne ausländisches Personal wäre die Versorgung der Patienten auf den Seychellen nicht möglich.

Auf dem Globus kann man sie kaum sehen: Die Inselgruppe der Seychellen liegt nördlich von Madagaskar und ist nur gut viermal so groß wie Sylt. Rund 350.000 Touristen kommen jährlich hierher; meist verbringen sie ihren Urlaub abgeschottet in Resorts. Ganz anders Hanna und Laura: Die Zahnmedizin-Studentinnen wohnten und arbeiteten mitten in der Hauptstadt Victoria auf Mahé, der größten Seychellen-Insel. Am staatlichen Hospital Mont Fleuri, zu dem neben einer Zahnklinik weitere medizinische Abteilungen gehören, empfing man die Famulantinnen mit offenen Armen. „Alle haben sich gefreut, dass wir da sind“, erzählt Hannah. Während der Semesterferien sind regelmäßig deutsche Praktikanten zu Gast, die ihren Aufenthalt über den Zahnmedizinischen Austauschdienst (ZAD) organisieren. „Uns wurden auch kleinere Kliniken auf anderen Inseln angeboten, aber wir haben uns dagegen entschieden“, erklärt Laura. „Dort arbeitet meistens ein Zahnarzt allein, der sich bei dem Ansturm von Patienten nicht viel mit Famulanten beschäftigen kann.“

Füllungen müssen extra lange halten

In Victoria unterstützten die beiden Deutschen den zahnärztlichen Notdienst. Beaufsichtigt von Klinikmitarbeitern übernahmen sie Standardaufgaben: Sie setzten Spritzen, legten Füllungen, zogen Zähne und entfernten Nähte. Die Handgriffe kannten sie aus dem Studium an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) sehr gut, nur eines war ihnen neu: „Wir haben mit Amalgam-Füllungen gearbeitet, das war interessant, weil wir das nur aus der Theorie kannten“, sagt Laura. Das quecksilberhaltige Material ist in Europa umstritten und wird kaum noch eingesetzt. In ärmeren Ländern greift man weiterhin gerne auf Amalgam zurück, weil es günstig und sehr haltbar ist. Auf den Seychellen muss eine Füllung bei einem typischen Patienten viele Jahre überstehen. „Obwohl die Leute jederzeit in die staatliche Klinik gehen könnten und viele Behandlungen kostenlos sind, kommen sie nicht regelmäßig und meistens nur, wenn sie es nicht mehr aushalten“, berichtet Hannah. Die Studentinnen bekamen extreme Karies und viele Lückengebisse zu Gesicht. In der Klinik erhalten die Patienten eine eher einfache Therapie. „Alles, was darüber hinausgeht, wie Kompositfüllungen oder prothetische Versorgungen, wird privat in anderen Kliniken gemacht. Das kann sich aber kaum jemand leisten.“ Chirurgische Eingriffe gehören aber durchaus zum staatlichen Angebot. In der Klink durften die Studentinnen den Operateuren über die Schulter schauen und stellten fest, dass deren Techniken ganz ähnlich sind wie in Deutschland.
 

Hannah (links) studiert Zahnmedizin im 8. Semester, Laura im 10. Semester. Foto: privat


Wegwerfmaterial wird desinfiziert

Ohne Knowhow und Arbeitsmittel aus dem Ausland könnte die Dentalklinik am Hospital Mont Fleuri nicht existieren. „Alle Zahnärzte, die wir dort kennengelernt haben, haben woanders studiert oder stammen aus anderen Ländern, aus Indien oder Kuba zum Beispiel“, erzählt Laura. Viele Materialien bezieht die Klinik aus England oder Deutschland – zu einem großen Teil sind es Spenden. Auch die Famulantinnen brachten zwei Koffer voller Utensilien mit. Das Klinikpersonal ging sehr sparsam mit diesen Ressourcen um. „Viele Einmalprodukte werden sterilisiert und wiederverwendet, sogar Endofeilen für Wurzelkanalbehandlungen, die schon ziemlich abgenutzt sind“, erinnert sich Hannah. Deutschen Hygienestandards entspreche das auf keinen Fall.

Auch in der Art, wie zahnmedizinische Aufgaben auf den Seychellen organisiert sind, sahen die Praktikantinnen einige Unterschiede zu ihrer Heimat. Sogenannte Therapists behandeln ausschließlich Kinder unter 18 Jahren. Die Spezialisten dürfen Füllungen legen, Zähne extrahieren und andere einfache Therapien anwenden. Sie haben dafür kein Studium absolviert, sondern eine Berufsausbildung. Im Krankenhaus arbeiten zusätzlich Hygienists, vergleichbar mit deutschen Dentalhygienikern. Sie kümmern sich aber nicht nur um Patienten der Zahnklinik, sondern etwa auch um die Menschen auf der Intensivstation. Hannah und Laura begleiteten die Hygieniker außerdem zu den Müttern in der Geburtsklinik, die über die Mundhygiene bei Kindern aufgeklärt wurden. „Davon können wir in Deutschland noch etwas lernen“, findet Laura.
 

Bescheidener Wohlstand dank Tourismus

Die Seychellen waren bis ins 18. Jahrhundert hinein unberührte Natur. Dann besiedelten französische Kolonisten die Inseln und legten Gewürzplantagen an. Einige Jahre später besetzte Großbritannien die Seychellen; sie wurden 1814 dem Empire zugesprochen. Seit 1976 ist die Inselgruppe unabhängig. Die Republik hat heute knapp 100.000 Einwohner und verfügt über das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller afrikanischen Länder. Haupteinnahmequelle ist der Tourismus. Im Land werden kaum Lebensmittel angebaut. Importiertes Gemüse und andere Frischwaren sind entsprechend teuer; die Bevölkerung ernährt sich viel von billigem Fastfood. Der Staat investiert pro Kopf umgerechnet 844 Internationale Dollar in die Gesundheit – zirka 800 Dollar mehr als etwa das Nachbarland Madagaskar.
 

Früher Monsun, tote Korallen

Mit ein paar Ausnahmen endete ihr Arbeitstag um die Mittagszeit. So konnten die Famulantinnen das Land ausgiebig erkunden. Im Spätsommer waren die meisten Touristen schon von Mahé abgereist. Der Herbstmonsun stand bevor, und die Studentinnen erhielten darauf einen Vorgeschmack. „Es war zwar schwülwarm, aber nicht einen Tag sonnig. Wir hatten viel Regen“, sagt Hannah. „Die Einheimischen meinten, dass es sonst erst im November so viel regnet. Und dass das mit dem Klimawandel zu tun haben könnte.“ An den Traumstränden, die sie nach Feierabend besuchten, war auf den ersten Blick vieles so paradiesisch, wie man es sich als Europäer vorstellt: „Wir waren viel schnorcheln, haben Schildkröten gesehen, Rochen, Kugelfische“, schwärmt Laura. „An einem Hotelstrand waren so viele bunte Fische, als wäre man im Aquarium. Man hat die Fische dort aber extra für die Touristen angefüttert – eigentlich nicht so schön.“ Die Idylle trügt auch noch in anderer Hinsicht: Viele Riffe sind abgestorben, vermutlich eine Folge der Erderwärmung. Ein deutscher Zahnarzt aus der Mont Fleuri Klinik, der seit 25 Jahren auf den Seychellen lebt, bestätigte den Kolleginnen, dass es früher deutlich mehr Korallen an Mahés Küste gegeben habe. „Die Korallenbleiche scheint kaum zu stoppen. Da wird einem bewusst, wie schnell die Natur kaputtgeht“, so Laura.
 

Entspannen und entrümpeln

Nicht nur die Umweltprobleme haben die Studentinnen nachdenklich gemacht. Fünf Wochen auf den Seychellen veränderten auch ihre Sicht auf die deutsche Mentalität und unseren Lebensstil. „Die Leute dort sind freundlicher und entspannter, mehr auf das Soziale bedacht und erledigen trotzdem ihre Arbeit. Wir Deutschen sind oft zu perfektionistisch und machen uns mehr Stress als nötig“, meint Hannah. Die beiden Freundinnen haben sich außerdem vorgenommen, weniger zu konsumieren und ihre Wohnungen zu entrümpeln. „Auf den Seychellen ist man mit wenig zufrieden“, sagt Laura. „Westliche Trends kommen nicht dort an. Shoppen kann man da überhaupt nicht.“ Dennoch kehrten die Famulantinnen mit schwerem Gepäck zurück. Darin waren allerdings keine Duty-Free-Schnäppchen, sondern Abschiedsgeschenke: fünf frische Kokosnüsse aus dem Garten einer Kollegin.

 

Aus dem Fotoalbum von Hannah und Laura